Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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entwickelt und entfaltet haben zu wunderbarer Schönheit. Weiter als ehedem sind seiner Menschheit die Pforten der Unermeßlichkeit aufgethan, und viel deutlicher, als in frühern Zeiten, können wir die Bahn des Geschlechts in die Unendlichkeit verfolgen.
Der Montblanc, dieser König der europäischen Berge, gehört den pennischen Alpen an, welcher derjenige Zweig des Hochgebirgs ist, welcher Piemont von Savoyen und Wallis scheidet. Er enthält alle höchsten Gipfel des ganzen Gebirgs, die schauerlichsten Gletscher, die größten Eisfelder. Des Montblancs absolute Höhe über der Meeresfläche beträgt 14,700 Fuß, und sein Nachbar, der Montrosa, ist nicht viel niedriger. Der Chimborasso steigt kaum 850 Toisen höher in die Lüfte; dem obersten Kaukasusgipfel kommt der Montblanc an Höhe fast gleich; den der Pyrenäen überragt er um fast 5000 Fuß. Bis zum Jahre 1786 galt der Bergriese für unersteiglich. Versuche, die zu verschiedenen Zeiten gemacht worden waren, mißlangen alle und Manche büßten ihr Wagniß mit dem Tode. Am 8. August jenes Jahres glückte es endlich dem Doktor Paccard aus Chamouny nach viertägiger Anstrengung und Ueberwindung unglaublicher Gefahren und Schwierigkeiten, in Begleitung seines Führers Balmat, den Gipfel des Montblancs zu erklettern. Seit dieser Zeit ist er, sowohl von Einzelnen, als ganzen Gesellschaften, mehrmals bestiegen worden, und gegenwärtig ist eine Exkursion auf die Zinne Europa’s mit viel geringerer Beschwerde verknüpft, als ehemals; sie wird auch in viel kürzerer Zeit gemacht. Man findet in Chamouny zur Sommerszeit erfahrene, aller Zugänge kundige Guiden, und macht die Tour hin und zurück gemeinlich in 2 Tagen. Die Kosten der Reise betragen 30 bis 40 Louisd’ors. Doch gehört immerhin ein rüstiger und dauerhafter Körper dazu, und noch hat es keine Dame gewagt, den Montblanc zu erklimmen.
Der Fuß des Bergs und dessen untere Region ist bewaldet. Von Prieuré aus, dem Hauptort des Chamounythals, gelangt man auf einem im Zickzack aufsteigenden Pfade binnen 4 Stunden in die zweite Region, wo die großen Wesen der Pflanzenwelt nicht mehr fortkommen und sich die Kraft der Vegetation auf Moose, kurze Alpgräser, und die Flora fast nur auf das Alpenröschen beschränkt. Ungeheuere, mit dunkeln, blaugrünen Matten bekleidete Felswölbungen und schroffe Gehänge, hier und da durch einzelne Sennhütten, oder weidende Rinder belebt, bilden den allgemeinen Charakter dieses Bergtheils. Weiter hinan verschwinden die Matten, das Geläute der Heerden verhallt, der Hauch des Lebens wird immer schwächer, der Weg immer steiler, das nackte, von jeder Pflanzendecke fast entblöste Gestein, ist röthlich, oder schwarz, oder braun; es ist Urfels, der in grotesken, wilden Gestalten rechts und links schauerlich in die Lüfte starrt. Mit jedem Schritte weiter aufwärts
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/216&oldid=- (Version vom 4.1.2025)