Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
|
„Seit 100 Tagen hatte ich nur Himmel und Wasser gesehen. Die glühende Hitze unter der Linie, verbunden mit dem ewigen Schwanken des Schiffs, hatten mich betäubt; ich war der Entbehrungen der langen Seereise müde, und sehnte mich nach dem Lande so innig, wie ein Liebender nach der Braut seines Herzens. Da stieg am Morgen des 102ten Tages unserer Abfahrt aus Hamburg am äußersten Horizonte eine Wolke auf – der Kapitain spähete: – Land! rief er; Land! Land! jubelte es in den Schiffsräumen und Alle stürzten hinauf, sich davon zu überzeugen. In wenigen Stunden lag die Küste von Sumatra prangend vor uns; aber unsere Sehnsucht wurde nicht gestillt: denn nicht Sumatra, sondern Batavia war unsere Bestimmung und noch war es über hundert Seemeilen fern. Wir steuerten der Küste entlang und tranken mit wahrem Tantalusgefühl das stinkende Wasser der Elbe, während uns die Bäche und Wasserfälle der bezaubernd-schönen Küste entgegen glizzerten. Endlich öffnete sich das Gestade; zwischen den zwei Vorgebirgen Java’s und Sumatra’s zog die Straße von Sunda hin und wir liefen ein. Die Prinzeneilande strichen so nahe an uns vorüber, daß wir die Blätter an den Bäumen zählen konnten. Mit jeder Stunde, die wir dem Ziele näher kamen, übte an Bord die Heiterkeit eine unumschränktere Herrschaft. Alle Ungeduld schwand, selbst der roheste Matrose schwelgte in süßen Gefühlen bei’m Anblicke des Landes. Oerüst zeigte sich dicht an der javanischen Küste, Middelburgs Bastionen stiegen über dem Wasserspiegel empor. Wir setzten nun alle Segel bei; unser prächtiges Fahrzeug zog wie ein stolzer Schwan mit ausgebreiteten Schwingen durch die vielen Schiffe hindurch, welche auf der Rhede lagen. Da donnerten in kurzen, abgemessenen Zwischenräumen die Wachtschiffe und ihr Willkomm’ entgegen, und unsere Kanonen dankten. Unter dem Krachen der Geschütze wurde eingerefft. Mit dem letzten Schusse waren auch die Segel verschwunden, und wie ein müder Wanderer, welcher, in gastlicher Herberge angekommen, seinen Reisemantel abgeworfen, die Bank sucht, legten wir uns auf einem schicklichen Plätzchen der spiegelglatten Rhede vor Anker.
Unser Ankerplatz war eine halbe Stunde vom Lande entfernt; denn Untiefen machen die größere Annäherung für schwerbeladene, tiefgehende Schiffe gefährlich. Ein zweiter Grund, sich so fern zu halten, ist der Pesthauch Batavia’s. Ihm ausgesetzt erkrankt das Schiffsvolk bald, und der Tod, dessen Sense am Lande nie ruht, hält Aerndte dann auch auf dem Meere.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/240&oldid=- (Version vom 6.1.2025)