in ruheloser, langer Arbeit in den letzten Jahrhunderten gehoben, wohl ist wenig Gebiet seiner Wissenschaft übrig, auf dem sich der Philolog unsicher und fremd fühlen würde.
Wie anders damals, wo jeder Schritt in neue, unbekannte Regionen führt; selten nur die Spur eines Voranschreitenden zu erkennen; auch sie lässt aber meist wieder im Stiche! Da hiess es der eigenen Kraft vertrauen; die schöpferischen Fähigkeiten des Gelehrten begannen zur Thätigkeit zu gelangen, die Spürkraft, das Ahnungsvermögen sollten Wunder wirken.
Und beinahe möchte man sagen: sie haben Wunder gewirkt! Was sie geleistet, beweisen vor Allem die Werke des Erasmus, denen die des Beatus Rhenanus u. A. an die Seite treten. Wie viel Selbstbewusstsein, wie viel subjectiven Uebermuth diese Eroberungen auf wissenschaftlichem Gebiete den einzelnen Philologen gaben, das zeigt u. A. Francesco Filelfo, das zeigt an einzelnen berühmten Beispielen Beatus Rhenanus in seinen Plinius-Emendationen, ein Werk, das mit erstaunlicher Klarheit auf die Irrwege hinweist, die von so vielen Meistern beschritten wurden.
Es gab aber noch keinen Canon der philologischen Kritik, es gab keine Schule und auch gar wenig Wissenscapital.
Erasmus freilich giebt in einem grossen Kreise den Ton an, es ist mir recht wohl bewusst, dass er Rhenanus und vielen Anderen für immer ein Vorbild geworden, doch sind die Vorzüge seiner Methode oftmals auf bloss persönliche Gaben zurückzuführen; man hat ihn aber ausserdem vielfach nur in Aeusserlichkeiten nachgeahmt; es wäre doch schwer von ihm eine Schule der Texteskritik ableiten zu wollen. Neben Erasmus wüsste ich in den ersten Decennien des sechzehnten Jahrhundertes nur die grossen italienischen und französischen Philologen; unter uns Deutschen: Melanchthon, später wohl J. Camerarius I. und Jac. Micyll als Vorbilder und Leiter der Studien Anderer zu nennen.
Adalbert Horawitz: Michael Hummelberger. Eine biographische Skizze. S. Calvary & Co., Berlin 1875, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Michael_Hummelberger._Eine_biographische_Skizze.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)