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bald eine politische Einheit. Jedenfalls nicht, wie die Praxis lehrt, von dieser Einheit nur einen Teil, das vulgus, die niederen Schichten, sondern alle Individuen soweit sich an ihren Worten, Handlungen und Werken die oben erwähnte Denkform wahrnehmen läßt.[1] An und für sich beschäftigt sich die Volkskunde nur mit den Erzeugnissen eines Volkes und zwar meist eines Kulturvolkes. Um aber die psychischen Ursachen der Erscheinungen zu ergründen und den Stammcharakter des Volkes festzustellen, müssen die Parallelerscheinungen anderer Völker und besonders der Naturvölker vergleichend und erklärend herangezogen werden.

Aber nicht nur das Wesen der Volkskunde müssen wir schärfer zu erfassen suchen, sondern auch ihre Materie müssen wir m. E. anders einteilen als es gegenwärtig zu geschehen pflegt. Hierüber ist um so mehr Aussprache und Verständigung erwünscht, als nach dem folgenden Entwurf das gesammelte Material in der Zentralstelle gruppiert werden soll. Schon nach der Deutung, die Strack dem Begriff der Volkskunde gegeben hat, habe ich die Weinholdsche Gruppierung nicht mehr für glücklich und zeitgemäß gehalten. Stehen die „geistigen Erscheinungen“ des Volkes im Mittelpunkte des Begriffes, so muß von diesen ausgegangen und das, was Weinhold als innere und äußere Zustände bezeichnet, muß mit der Psyche des Volkes in Zusammenhang gebracht werden. Gar nichts mit der Volkskunde zu tun hat das, was ihr Weinhold als Einleitung vorausschickt: die physische Erscheinung des Volkes. Diese Abschnitte gehören in das Gebiet der Anthropologie, und wie wir unser Gebiet vor Annexion von seiten der Nachbarwissenschaften schützen wollen, so wollen wir auch keinen Anspruch machen auf etwas, das uns nicht gehört. Mit demselben Rechte, wie die physischen Erscheinungen des Volkes, könnten wir auch die Beschreibung seines Landes, seine Geschichte, die Statistik u. a. hereinziehen, wie es z. B. Wuttke in der Sächsischen Volkskunde getan und so die Begriffe Volks- und Landeskunde vermengt hat. Gehen wir von der Tatsache aus, daß die Erforschung der psychischen Erscheinungen des Volkes den Angelpunkt der Forschung bildet, so ist die Einteilung der Materie m. E. durchaus einfach. Die Volkskunde hat zur Aufgabe darzulegen, wie sich die Psyche des Volkes äußert:

  1. im Wort,
  2. im Glauben,
  3. in Handlungen,
  4. in Werken.

I. Dem 1. Abschnitt gehört dann an:

a) Die Sprache des Volkes, soweit wir sie als Volkssprache zu bezeichnen pflegen: der Dialekt mit seinen besonderen Formen, seinem Wortschatz, seinem Stil.

b) Die Namen, die das Volk sich und seiner Umgebung beigelegt hat: Personen- und Ortsnamen, Flur- und Waldnamen, volkstümliche Tier- und Pflanzenbezeichnungen, Namen für gewisse Vorgänge im Leben, wie für den Tod, die Taufe, Trunkenheit u. dgl.

c) Die Volksdichtung: Das Volks- und Kinderlied, Märchen, Fabel, Sage, volkstümliche dramatische Dichtungen, das Sprichwort, die Haus- und Hausgerätsprüche, die Inschriften der Marterln, Totenbretter, Grabsteine u. a.; Volkshumor und Volksneckereien.


  1. Was von einem Zweige der Volkskunde gilt, gilt natürlich von allen. Ich glaube deshalb, daß Strack auf dem richtigen Wege zum Verständnis des Wesens der Volkskunde ist, wenn er von der Entstehung neuer Vierzeiler sagt: „Die Reflexion ist dabei kaum tätig; Assoziationen formeller und natureller Art, die sich unbewußt einstellen, tun das meiste.“ (Hess. Blätter I, S. 60).