Seite:Ossendowski - Schatten des dunklen Ostens.djvu/125

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

s

Wäre nicht die Betschwester Gulajew, eine Kaufmannsfrau, in sein Leben getreten, wäre er wohl weiter ein guter geistlicher Vater und Pope geblieben.

Die Betschwester wußte aber sofort die Aufmerksamkeit mächtiger Aristokraten aus der Hofkamarilla auf den damals noch jungen Popen zu lenken und machte sich zu seinem Impressario.

Iwan aus Kronstadt begann nun seine schauspielerischen Fähigkeiten als Geistlicher und Prediger zu verwerten.

Das von der Betschwester geleitete Unternehmen entwickelte sich günstig. Nach einem Jahre wurde schon von den wunderbaren Heilungen, Totenerweckungen und Weissagungen des Iwan aus Kronstadt erzählt.

Geld in Hülle und Fülle, Ehrungen aller Art, hohe Beziehungen und großer Einfluß wurden die nicht unterschätzten Begleiterscheinungen dieser Heiligkeit. Auf seine Veranlassung hin wurden prächtige Kirchen, Schulen und Spitäler gebaut, doch versäumte er es auch nicht, eigene Häuser und Landgüter bauen zu lassen und für das Gedeihen seines Bankkontos Sorge zu tragen.

„Iwan, der Heilige! Iwan, der Prophet Gottes!“ rief laut die Menge.

Der Klerus war mißvergnügt, aber der Zar Alexander III. hielt Iwan aus Kronstadt hoch in Ehren. Als der Herrscher aller Reußen im Sterben lag, ließ er sich Iwan nochmals an sein Lager kommen und küßte ihm nach dem Empfange der heiligen Sterbesakramente in frommer Ekstase die Hände.

Die geschäftstüchtige Gulajew fand nach des Zaren Tod die Zeit für gekommen, Iwan den Wunderbaren als den zum zweitenmal zur Welt gekommenen Messias ausrufen zu lassen.

Das war aber doch des Guten zu viel. Der Klerus und das Oberhaupt des heiligen Synod traten dieser Betrügerei endlich energisch entgegen und nur dem Schutze der Kaiserin-Witwe hatte es Iwan zu verdanken, daß er sich ohne Schaden aus der Affäre ziehen konnte. Man zwang ihn aber, sich künftighin nur mit den Angelegenheiten der Kronstädter Kirche zu befassen und stellte seiner Sehnsucht nach der Gottesverwandtschaft energische Grenzen.

Bald nach dieser Niederlage starb Iwan von Kronstadt. Die unermüdliche Gulajew aber verbreitete nun die Nachricht über Wunder und Zeichen, die sich am Grabe des Verstorbenen ereigneten. Bis zum Oktober 1917 konnte sich dieser Unfug behaupten, da wurde der

Empfohlene Zitierweise:
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/125&oldid=- (Version vom 15.9.2022)