aber bei der damaligen Erregung der Massen erscheint ein solches undenkbar, wenn diese von glühendem Patriotismus und besonderem Römerhaß erfüllt gewesen wären. Dieser hat vielmehr erst allmählich infolge der Bedrückung durch die römischen Prokuratoren die großen Massen des Volkes ergriffen; immerhin ist noch zur Zeit Jesu eine starke Partei, die Herodianer (s. für diese meinen Art. Herodianoi in Pauly-Wissowas Realencykl. Suppl.-Heft II S. 200ff.), für den Anschluß an Rom eingetreten (Wellhausen Pharis. u. Sadduc. 109ff. hebt die Entwicklung nicht genügend hervor, richtiger schon Wendland Die hellen.-röm. Kultur² 188). Daher sollte man H.s Stellung zu Rom bei der Frage nach den Gründen des Volkshasses gegen ihn nicht in den Vordergrund schieben. In unserer ganzen Tradition, die doch H. alles mögliche vorwirft, findet sich der Vorwurf zu großer Romfreundlichkeit, soweit ich sehe, niemals.
c) Die unheilvolle Zeit des Unfriedens in der königlichen Familie (14–4 v. Chr.).
Das J. 14 v. Chr. hat den Höhepunkt in der Regierung des Königs gebracht, aber mit ihm setzt auch zugleich bereits der Umschwung ein. H.s letztes Jahrzehnt unterscheidet sich daher auch so wesentlich von der vorhergehenden Zeit. Nicht so sehr allerdings hinsichtlich der Regierungsprinzipien. Denn diese haben sich nur in einem Punkte, und auch nur in den allerletzten Jahren, gewandelt, in der Stellungnahme zum jüdischen Gesetz im eigenen Lande: Die bisherige Rücksichtnahme auf dieses ist fallen gelassen worden (s. S. 105 und 143). Nicht erhalten hat sich dagegen einmal der seltene äußere Glanz, der bis dahin das herodeische Regiment ausgezeichnet hatte; er ist stark gemindert worden. Reichtum und äußere Pracht sind zwar geblieben; es fallen in diese Zeit sogar Ereignisse, die die äußere Stellung des Königs besonders glänzend [RE:122] erscheinen lassen, wie die Übernahme der Agonothesie der olympischen Spiele durch ihn und die Einweihungsfeierlichkeiten von Kaisareia (s. S. 81). Aber erschüttert wird das besondere Wohlwollen Roms und seines Herrschers für H. und damit das Fundament des Glanzes, ohne das dieser einen rein äußerlichen Anstrich hatte und sogar jederzeit ganz erlöschen konnte.
Die besonders großen Spenden, die Augustus und Livia noch zur Einweihung von Kaisareia, d. h. doch wohl spätestens schon ganz zu Beginn des J. 9 v. Chr., dem König zukommen ließen (ant. Iud. XVI 138f.), zeigen uns, daß damals die Freundschaft noch ungetrübt gewesen sein muß. H.s Feldzug gegen die Araber, der die Trübung hervorrufen und sogar eine Zeitlang zur schärfsten Ungnade des Kaisers geführt hat, muß also demnach entweder ganz gegen Ende 10 v. Chr. (die Kunde kann eben später nach Rom, als die kaiserlichen Gaben nach Palästina gelangt sein) oder spätestens unmittelbar nach der Einweihung von Kaisareia erfolgt sein [1]. Die Gründe zu ihm [126] [RE:123] reichen bis ins J. 12 v. Chr. zurück (ant. Iud. XVI 130. 271–282. 343f. 347f.). Damals, als H. seine zweite Romreise angetreten hatte, hatte sich die räuberische und vom König noch nicht gebändigte Bevölkerung der Trachonitis auf das
- ↑ Aus der Einordnung dieser Ereignisse bei Josephus sind ganz sichere chronologische Schlüsse nicht zu ziehen. Nachdem er ant. Iud. XVI 90ff. den Besuch des H. bei Augustus vom J. 12 v. Chr. WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt erzählt hat, läßt er zunächst einen Bericht über die innere Geschichte bis § 270 folgen (übrigens auch nicht streng chronologisch, sondern sachlich geordnet, vgl. c. 5 und 7f.), die er bis zu dem durch das Auftreten des Königs Archelaos gekennzeichneten wichtigen Einschnitt innerhalb der Familienwirren herabführt. Erst mit § 271 wendet er sich der äußeren Geschichte derselben Periode zu (über dasselbe Verfahren im XV. Buch s. S. 45 Anm.). Denn daß sich die in § 271 berichtete Rückkehr aus Rom auf die Reise des J. 12 v. Chr. und nicht auf eine spätere bezieht, folgt, worauf auch schon Schwartz Nachr. Gött. Ges. phil.-hist Kl. 1906, 356, 2 hingewiesen hat, mit unbedingter Sicherheit aus § 273 (aus den Angaben in § 271. 273. 276 hat man nicht, wie dies auch noch Schürer I³ 372, 17 tut, die Erwähnung einer dritten späteren Romreise des Königs zu erschließen, sondern sie alle auf die Reise des J. 12 v. Chr. zu beziehen. Gegen die dritte Reise schon Korach Monatsschr. f. Gesch. u. Wissensch. d. Judent. XXXVIII 533ff., der jedoch § 276 noch nicht richtig deuten konnte, weil er die Bewerbung des Syllaios um Salome fälschlich erst dem J. 11 v. Chr. zuteilt [s. S. 103f.]; setzt man diese dagegen vor das J. 12 v. Chr. an, so erwächst aus dem mit dieser Bewerbung als bereits erfolgt rechnenden § 275 kein Zwang, die in § 276 erwähnte Romreise von der des J. 12 v. Chr. zu unterscheiden. Daß § 270 keine neue Romreise des Königs bezeugt, geht aus seinem Schlußsatz und vor allem, wie schon Korach und Schwartz a. a. O. bemerkt haben, aus einem Vergleich mit der Parallelstelle, bell. Iud. I 510, hervor. Es bleibt also als Anzeichen für eine Romreise nach 12 v. Chr. nur die meines Wissens in letzter Zeit allein von Wellhausen 333, 2 beachtete Stelle bell. Iud. I 481 übrig. Sollte man aus ihr wirklich eine solche folgern wollen, so würde jedenfalls bestehen bleiben, daß in den antiquitates eine solche nicht erwähnt wird. Aber schon diese Nichterwähnung mahnt zur Skepsis; in der bellum-Stelle wird zudem auch nur von der Absicht der Reise gesprochen, von dieser selbst aber mit keinem Worte, und so wird man denn wohl annehmen dürfen, daß es zu dieser beabsichtigten Reise nicht gekommen ist. Sollte sie etwa infolge der Trübung des Verhältnisses mit Augustus unterblieben sein?) Der arabische Feldzug, der in dem mit § 271 beginnenden Abschnitte geschildert wird, fällt also nach 12 v. Chr. Daß er jedoch sehr bald nach diesem Zeitpunkt stattgefunden haben müsse, ist aus § 271 nicht zu folgern; denn die Gliederung des Abschnittes § 271–299 ist etwa mit der, die wir in ant. Iud. XVIII § 96–105 und § 109–115 beobachten können, auf eine Stufe zu stellen: auf eine Art von Überschrift folgt erst die Vorgeschichte des in der Überschrift in Aussicht gestellten Ereignisses, und wenn wir beachten, daß an der einen Parallelstelle die Vorgeschichte trotz der dies nicht andeutenden Darstellung WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt eine lange Spanne Zeit umfaßt hat (s. S. 186f.; vgl. auch ant. Iud. XVIII 39–52), so kann man auch hier sehr wohl einen Zwischenraum von einigen Jahren annehmen. Setzt man nämlich den Feldzug bald nach 12 v. Chr. an, so muß man auch noch die Aussöhnung mit Augustus in die Zeit vor 9 v. Chr., d. h. vor die Einweihung von Kaisareia verlegen, da selbstverständlich in der Periode der größten Spannung der Kaiser dem Könige keine Geschenke gemacht haben wird; aber nicht nur dies, sondern außerdem auch die Streitigkeiten mit den Mariammesöhnen in ihrem ganzen Verlauf bis kurz vor dem Urteile von Berytos, da die Aussöhnung mit dem Kaiser und die Einsetzung des Gerichts in Berytos in engstem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang miteinander stehen (s. § 333 und 354ff.). Ein Vorrücken der Hinrichtung der Mariammesöhne etwa in das J. 9 v. Chr. oder gar noch früher ist jedoch so unwahrscheinlich wie nur möglich; es würde dann zwischen dieser Hinrichtung und dem Vorgehen des Könige gegen seinen Sohn Antipatros, das vor die 2. Hälfte des J. 5 v. Chr. nicht anzusetzen ist, eine viel zu lange, nicht recht auszufüllende Lücke klaffen. Ferner ist es aber nach den Angaben von § 355 auch kaum glaublich, daß Augustus selbst nach der Aussöhnung dem Könige noch so große Geschenke wie die für die Einweihung von Kaisareia bestimmten gemacht haben sollte (s. S. 130f.). Schließlich würde dann auch in der Lebensgeschichte des Syllaios ein Abschnitt, den man gerade sehr kurz anzusetzen geneigt wäre, eine größere Reihe von Jahren umfassen; es ergäbe sich damit eine weitere große Unwahrscheinlichkeit (vgl. § 352f. mit XVII 54; s. über das Leben des Syllaios Clermont-Ganneau Rec. d’arch. orient. VII 305ff. und S. 130 Anm. und 145). Dagegen ergeben sich bei der Ansetzung im Text keinerlei Schwierigkeiten. Da mithin der arabische Feldzug mit ziemlicher Sicherheit festgelegt werden kann, sind die von Schwartz a. a. O. gegen die Gutschmidsche Chronologie der Nabatäerkönige erhobenen Zweifel unbegründet; denn ant. Iud. XVI 294 zeigt, daß der Tod des Königs Obodas ziemlich bald nach dem Feldzuge erfolgt sein dürfte.
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/083&oldid=- (Version vom 1.8.2018)