Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/124

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

von Merseburg blickte, denn ihr Inhalt hatte bei den geschicht­lichen Übungen auf der Universität eine wichtige Rolle gespielt. Meine Vorliebe für das Gewaltige fand Befriedigung in dem großen, von Stuckmarmorsäulen getragenen Saale der deutschen Geschichte, der mir mit seiner Pracht und seinen Schätzen in Zukunft ein Lieblingsaufenthalt werden sollte.

Mit ganz anderen Empfindungen als kürzlich von Weimar fuhr ich von Dresden ab. Ich hatte die frohe Zuversicht, einer allen meinen Neigungen entsprechenden Wirksamkeit entgegenzugehen. Mitte Juni erhielt ich die Nachricht, daß die Generaldirektion der königlichen Sammlungen meine Anstellung als Hilfsarbeiter mit dem gewiß nicht glänzenden, aber für meine Bedürfnisse zunächst ausreichenden Gehalte von jährlich 1350 Mark für den 1. August beschlossen habe. Die Lehrjahre waren zu Ende, als Kopfarbeiter wollte ich nun selbstständig schaffend in den Dienst der Wissenschaft treten.

Bald schlug die Stunde des Abschieds von Leipzig. Als ich zur Fahrt gerüstet auf dem Bahnhofe erschien, begrüßte mich eine große Schar meiner Paulusbrüder, um mir nach uralter Sitte das „Komitat“ zu bringen. Wenn in früheren Jahrhunderten die Studenten dem heimziehenden Landsmanne ein Stück des Weges das Geleit gaben, hatten sie dabei zu­gleich das wüste Vergnügen gesucht, auf den Dörfern Lärm und Unfug zu verüben. Jetzt war es ihnen Herzenssache, dem Genossen der studentischen Freuden den letzten Gruß zu bieten. Da gab es viele Freundeshände zu schütteln. Jede anwesende himmelblaue Mütze war gleichbedeutend mit einem Grad Gefühlswärme gegenüber dem Scheidenden, ihrer dreißig atmeten schon eine wonnige Sommerstimmung, aber wer es gar auf achtzig brachte, stand – nach Reaumur – auf dem Siedepunkt der Beliebtheit. Genau gezählt habe ich die Köpfe meines Ehrengeleits nicht, nur flüchtig überschauen konnte ich sie, in Wehmut und Rührung. Beim dritten

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/124&oldid=- (Version vom 12.6.2024)