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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/123

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meiner Preisarbeit, die ihm die Gewähr zu bieten schien, daß ich mich in der von ihm gewünschten Weise betätigen würde. Ich dachte mir freilich im stillen, es wäre für den Beamten­körper vielleicht heilsamer, wenn er seine ätzenden Wässerchen auf die wunden Stellen selbst träufelte. Aber Förstemann scheute alle persönlichen Auseinandersetzungen wie das heiße Eisen. Seine weiche Hand ließ die Zügel bisweilen am Boden schleifen. So konnte es kommen, daß die beiden verfeindeten Bibliotheksdiener ihre Zänkereien sogar im Lesesaale laut ausfechten durften, und das mußte doch einen Leser, der etwa gerade in Petrarcas Lieder an Laura vertieft war, recht unliebsam berühren. Als ich bald nachher im neuen Lesesaale die Aufsicht übertragen erhielt, schaffte ich sogleich die bisher herrschende Unsitte des Lautsprechens ab, indem ich selbst leise mit den Benutzern sprach, ebenso auch mit dem Herrn Vorstande, der sich der Anordnung seines Untergebenen willig fügte. Mir ward der geistvolle Mann ein freundlicher Gönner, und seiner Empfehlung verdankte ich nachher die Stellung, in der ich mein Lebenswerk aufbauen konnte. Doch ich bin mir selbst vorausgeeilt!

Nach der Unterredung lud mich der Oberbibliothekar zu einem Rundgange durch sein Reich ein. Ich hatte es bisher nur einmal flüchtig betreten, als ich mir für meine Arbeit einen der großen Bände von Mansis Konziliensammlung, der auf der Leipziger Bibliothek fehlte, holen mußte. Da reihte sich nun Saal an Saal mit Hunderttausenden von Büchern, die mich mit ihren vergoldeten Einbandrücken lockend anglitzerten, besonders die feinen hellbraunen Kalblederbände aus dem Be­sitze des glanzliebenden Grafen Brühl, zu deren Verzierung sich mancher blanke Dukaten aus dem Steuersäckel des Landes hatte müssen breitschlagen lassen. Dazu Tausende von Hand­schriften, aus denen sich wohl für die Wissenschaft noch viele Früchte würden gewinnen lassen. Ein Gefühl der Ehrfurcht überkam mich, als ich in die Urschrift der Chronik Thietmars

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/123&oldid=- (Version vom 12.6.2024)