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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/43

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vieles andere, das mir nach und nach gewiß alles würde ein­gefallen sein, wenn ich öfter bei Herrn Kaspar Trepp an der Ecke der Scheffelgasse eingekehrt wäre und in Ruhe ein Täßchen sächsischen Mokka geschlürft hätte. Jedoch ich betrat dieses bei allen Evatöchtern beliebte Kuchenparadies nur ein einziges Mal, und zwar weniger um leiblichen Genießens als um einer sittengeschichtlichen Merkwürdigkeit willen. Hier verkehrte nämlich der letzte der einst bei der katholischen Hofkirche als Sopransänger angestellten italienischen Kastraten, und von diesem wurde erzählt: mehrere Frauen, mit denen er sich wiederholt freundlich unterhalten, hätten sich nachher bei der Bedienung nach Namen und Stand des liebenswürdigen Gastes er­kundigt und auf die Auskunft hin, das sei der Kastrat Ciccarelli, ihn beim nächsten Zusammentreffen mit dem höflichen Gruße empfangen: Guten Tag, Herr Kastrat! Der Markt bot aber auch ohne Kaffee und Kastraten, ohne Fliegende Blätter und Dresdner Nachrichten Genuß und Anregung genug. Das niedrige Chaisenhaus an der Schreibergasse, ein Mittelding zwischen Schuppen und Tempel, das die Dresdner seit Jahrzehnten verhöhnten, war für mich durchaus kein Stein des Anstoßes, sondern eine geschichtliche Sehenswürdig­keit: in seiner Halle sah man im wohlverdienten Ruhestande reihenweise die alten gelben Sänften stehen, das schwerfällige Verkehrsmittel einer leichtlebigen Vorzeit, und draußen saßen auf langer Bank die befrackten Träger, gemächlich ihr Pfeifchen schmauchend und wehmütig ihrer glücklichen Vorgänger ge­denkend, die einst alle Hände voll zu tun hatten, um vornehme Damen im spreizenden Reifrock und hochmögende Herren mit wallender Lockenperücke zu glänzenden Festen im Königs­schlosse und in den Adelspalästen abzuholen. Nächst diesem eindrucksvollen Denkmal sächsisch-polnischer Herrlichkeit, auf dessen Dach ein halbes Jahrhundert hindurch die schönheitsdurstigen Augen des nahebei wohnenden großen Bildnismalers Anton Graff geruht hatten, ließ ich auch das feingegliederte,

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/43&oldid=- (Version vom 27.5.2024)