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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/51

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ihrer Ähnlichkeit mit denen der Seminaristen nicht lange vorher abgeschafft – rückten wir aus. Als „Chargierter“ an der Spitze der Unterprima kam ich mir, angetan mit einer vom Maskenverleiher geborgten Samtpekesche und weißen Stulphandschuhen, ungeheuer eindrucksvoll vor. Der Schläger, mit dem der Trödler mich ausgerüstet hatte, krankte an zer­brochener Scheide; ich mußte sie mir auf eigene Kosten zu­sammenlöten lassen, und zwar, da ich keinen Waffenschmied außer dem von Lortzing kannte, durch den Klempner. So hätte ich mich eigentlich nur als Blechsoldat fühlen dürfen, bewegte mich jedoch mit meinen Schulkameraden am Nach­mittage, als unsere Krieger auf der Waldschlößchenwiese bewirtet wurden, so selbstbewußt unter ihnen, als ob ich min­destens eine Kugelspritze im Feuer genommen hätte. Eine Lichtbildaufnahme sorgte dafür, daß der Nachwelt die stolzen Erscheinungen unserer Chargierten im geborgten Wichs, die in die Heldenwirklichkeit ein Stückchen Theater trugen, nicht verloren gingen. Aber warum befand ich mich denn bei meinem Alter von 19 Jahren nicht mit ernsten Waffen unter denen, die man da festlich begrüßte? Je nun, ich war bei aller meiner Begeisterung körperlich zu schwach gewesen, um als Kriegs­freiwilliger eintreten zu können. Noch als ich mich 1873 bei den Leibgrenadieren meldete, wurde ich zurückgestellt und im nächsten Jahre wegen „Schwäche“ – das Wort gefiel mir gar nicht – ganz ausgemustert. Der Soldatentraum meiner Kindheit, der mit hölzernem Schwert und Spieß in Meißen bei den Zügen gegen die überelbischen Völker begonnen hatte, war in einem eisernen Zeitalter ausgeträumt. Die harten Erfahrungen meines Freundes Hänsel hatten mich ohnehin ernüchtert.

Ein schöner Nachklang der Siegesfeiern des Jahres 1871 war es, als am 18. Oktober das vor der Kreuzschule errichtete Standbild Theodor Körners enthüllt wurde. Ich befand mich dabei unter den Vertretern unserer Schule. Ein von mir

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/51&oldid=- (Version vom 28.5.2024)