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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/50

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Da stürmten wir jubelnd hinaus, über die Brücke hinüber auf den Altmarkt, wo in bewegten Zeiten das Herz Dresdens am lautesten schlägt. Hier ward eine kurze, aber erhebende Dankfeier abgehalten, dann zogen wir in breiten Reihen, Arm in Arm mit wildfremden Menschen, wenn sie nur Deutsche waren, die Wacht am Rhein und andere Vaterlandslieder singend, durch die Straßen, die sich schnell mit wehenden Flaggen schmückten und am Abend in glänzender Festbeleuchtung erstrahlten.

Die Ausrufung der deutschen Kaiserwürde, mit der das neue Jahr einsetzte, wurde als die Erfüllung jahrhunderte­langen Sehnens begeistert begrüßt. Anfang März kamen neue Jubeltage. Eroberte französische Kanonen und Kugelspritzen wurden festlich eingeholt und im Zwingerhofe auf­gestellt. Zur Feier des abgeschlossenen Vorfriedens veranstalteten die Studierenden einen Fackelzug, bei dem der Einritt des aus dem Zauberschlafe erwachten Kaisers Friedrich Barbarossa dargestellt wurde – gewiß, es war nur ein Mummen­schanz, und doch die jugendliche Seele tief ergreifend, denn nicht darauf kommt es ja an, was der Mensch vor Augen sieht, sondern was er dabei empfindet.

Den glanzvollen Abschluß dieser freudenreichen Zeit bildete der großartige Empfang der siegreich heimkehrenden Truppen am 11. Juli, bei dem unsre Schülerschaft in der Prager Straße Ehrenreihe stehen durfte. Da wir noch nicht „organisiert“ waren, besaßen wir keine Fahne. In aller Eile wurden Gelder zu ihrer Beschaffung gesammelt. Ich hielt zu diesem Zwecke in den unteren Klassen feurige Ansprachen; indem ich dabei die Herren Sextaner und Quintaner mit Sie anredete, hoffte ich eine unwiderstehliche Wirkung auf ihre vaterländisch erglühenden Herzen und damit auf den Geld­beutel ihrer Eltern zu erzielen. Mit einem einstweilen durch aufgeklebte Pappbuchstaben gekennzeichneten Banner und neu gegipsten weißen Mützen – die grünen hatten wir wegen

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/50&oldid=- (Version vom 28.5.2024)