Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/53

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

antrug. – Ich dachte in den letzten Schuljahren ernstlich daran, mich für politische Tätigkeit vorzubereiten, und besuchte sogar die Vorträge des Schauspielers Bürck über die Kunst der Rede – der alte Demosthenes, wie er am Meeresstrande im Kampfe mit Sturm- und Wogengebraus die Gewalt seiner Stimme übt, spukte mir im Kopfe. Auch in die Schule schlug meine Begeisterung für Vaterland und Freiheit ihre Wellen. Schon in einer Sekundanerarbeit über die Zunge finde ich den Satz: „Patrioten haben sehr oft die Kühnheit, sich der ihnen von der Natur verliehenen Gabe nach dem Drange ihres Herzens zu bedienen, teuer bezahlen müssen, da es in den meisten mit Regenten (von Gottes Gnaden) begabten Staaten streng verpönt war und teilweise noch ist, über staatliche Ver­hältnisse die Wahrheit offen auszusprechen.“ – Bei der freien Wahl des Gegenstandes zu einem Aufsatze schrieb ich als Oberprimaner über „Die notwendigen Grundlagen der repu­blikanischen Staatsverfassung“ und stellte mich dabei auf den Standpunkt, daß die Republik die natürlichste und vernunftgemäßeste aller staatlichen Verfassungen sei, daß sie aber nur da bestehen könne, wo die Bürger die dazu erforderliche hohe politische und sittliche Reife besäßen. Der Rektor gab mir den Aufsatz, mit einer 1 versehen, ernst und schweigend zurück.

Der Reifeprüfung zu Ostern 1873 sah ich ohne Bangen entgegen. Die deutsche Aufgabe „Schillers Don Carlos, ein Gemälde des Despotismus“ verschaffte mir neue Gelegenheit, meinen Tyrannenhaß auszutoben. Aus tiefster Überzeugung sagte ich am Schlusse: „Schon erkennt keine gebildete Nation mehr den angemaßten göttlichen Ursprung der Kronen an, die Fürsten sind ihres übermenschlichen Nimbus beraubt und der Begriff Untertan ist aus dem Staatsleben verschwunden. Aber noch bewahren die Fürsten viel natur- und vernunft­widrige Vorurteile und Vorrechte, die nur dadurch fallen können, daß ein jeder an der religiösen und politischen Auf­klärung

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/53&oldid=- (Version vom 28.5.2024)