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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/66

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Schicksal der Völker, vom Denken und Tun ihrer Großen, vom Werden und Vergehen ihrer Staaten, Lehrerin ewiger Menschheitsgesetze und Hüterin unvergänglicher Geistesschätze, Trägerin geheimer Kräfte zur Veredelung des irdischen Daseins – heilige Wissenschaft, sei mir aus Herzensgrund gegrüßt!

Ich schwelgte im Sonnenschein freudiger Erwartung. Mein Vorsatz war, Geschichte zu studieren. Soweit wußte ich, was ich wollte, dagegen ließ ich es noch dahingestellt sein, welchen Beruf ich später ergreifen würde. Jeder für seine Wissenschaft begeisterte junge Mann pflegt die Laufbahn des akademischen Lehrers für besonders erstrebenswert zu halten, und auch bei mir stand dieses hohe Ziel, obgleich ich wußte, daß es in der Regel nur Goldsöhnen oder Glückspilzen er­reichbar ist, im nebelhaften Hintergrunde. Nicht minder anziehend erschien mir die Tätigkeit des Archiv- und Biblio­theksbeamten, während meine politischen Neigungen mich auf den Beruf des Tagesschriftstellers hinwiesen. In stiller Studierstube die Zusammenhänge des Weltgeschehens zu ergründen und die Ergebnisse der Forschung auf dem Katheder vor gespannt lauschenden Jünglingen auszubreiten – oder im dämmerigen Archivgewölbe vergilbte Schriften zu durch­blättern, aus ihnen die Geister der Jahrhunderte wachzurufen und sie der Mitwelt vorzuführen – oder im luftigen, bis an die Decke mit Büchern gefüllten Bibliotheksaale ordnend zu walten und Wißbegierigen ratend und helfend von den Schätzen der Wissenschaft mitzuteilen – oder auch die eigenen Ansichten über politische Vorgänge in einer großen Zeitung nieder­zulegen und damit auf die Leserschaft führend einzuwirken – was für lockende Bilder von einer schaffensfrohen Zukunft mußten solche Möglichkeiten in meiner Seele hervorzaubern.

Es war Eile nötig, denn bei meiner Rückkehr von der Reise hatten die Vorlesungen schon begonnen. Am 4. No­vember 1873 wurde ich immatrikuliert und vom Rektor durch

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/66&oldid=- (Version vom 30.5.2024)