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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/67

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Handschlag auf die Gesetze der Universität feierlich verpflichtet. Ich ließ mich als studiosus historiae et philologiae einschreiben. Zwar brachte ich dem Berufe des Gymnasial­lehrers wenig Neigung entgegen. Ich hatte auf der Schule neben dem Weizen zuviel leeres Stroh bearbeiten sehen, als daß ich mir von solcher Handhabung des Dreschflegels große Freude versprechen konnte. Aber ich glaubte mir doch für den Notfall auch die Wahl dieser viel Geduld und Entsagung fordernden Tätigkeit offenhalten zu müssen. Mit Feuereifer stürzte ich mich in den breiten Strom der historischen und philologischen Wissenschaften, unbekümmert, wohin er mich führen würde.

Ich hatte Pleiße-Athen schon zwei Jahre vorher gesehen, ohne freilich von den dort aufgespeicherten Reichtümern des Geistes etwas zu bemerken. Damals besuchte ich in einer Ferienwoche meine Schwester Sophie, die in dem Vororte Neuschönefeld, nichtamtlich auch Neupiependorf genannt, verheiratet war. Ich fuhr durch das mir bereits bekannte Triebischtal auf der Eisenbahn und wollte den Weg von Nossen bis Leipzig zu Fuß machen, um Land und Leute kennenzulernen. Aber auf der Wanderung durch das liebliche Muldental sah ich mich schon in Döbeln durch Regenwetter gezwungen, Schusters Rappen abzusatteln und mich dem rollenden Rade wieder anzuvertrauen. Diesmal ging die Reise glatter vonstatten. Einen Unterschlupf fand ich schnell. Mein Freund, der ehemalige Primus der Meißner Fürstenschule, hatte mich aufgefordert, seine „Bude“ in einem Eckhause an der Dörrien- und Querstraße mit ihm zu teilen. Das hätte eine erfolgreiche Zeit gemeinsamen Strebens geben können, aber es kam anders. Der Lerneifer des Afraners war bereits abgeebbt, er sog nur noch schwach an den Brüsten der Wissenschaft, aber um so kräftiger am Bierglase. Den Abend und die halbe Nacht verbrachte er meist in einer Wirtschaft auf der Universitätsstraße und glaubte damit wohl genügende Anhänglichkeit an

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/67&oldid=- (Version vom 4.6.2024)