Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/79

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

anderen deutschen Stämme untermischt waren, die in ihrem treuen Zusammenhalten ein schönes Abbild der neugewonnenen völkischen Einheit gaben.

Von den Trinksitten mit ihrem sinnlosen Zwange will ich schweigen. Diese Schatten im Bilde der Studentenkneipe waren beim Paulus gewiß lange nicht so schwarz wie bei mancher anderen Körperschaft, immerhin hatte die Derbheit der akademischen Geselligkeit früherer Jahrhunderte auch bei ihm Spuren zurückgelassen. Meint doch aber selbst eine zarte Seele, wie Jean Paul, wenn man bedenke, bis zu welchem Flor die Wissenschaften bei dem Primaner steigen, solle man dem Musensohne ein gewisses barbarisches Mittelalter, das sogenannte Burschenleben, gönnen, das ihn wieder so stähle, daß seine Verfeinerung nicht über die Grenzen gehe. Indessen, von nächtlichen Heldentaten an Straßenlaternen und Firmen­schildern habe ich nichts zu sehen bekommen, und auch von der Neigung zu Herausforderungen, nach denen man sich den Friedensvertrag auf der Mensur mit Keilschrift gegenseitig ins Gesicht schrieb, war unter uns wenig zu spüren. – Burschen­lieder wurden auf unseren Kneipabenden nicht gesungen, sie blieben den besonderen Kommersen vorbehalten, die der Paulus in der Regel zweimal im Jahre, bei seinem Stiftungsfeste und nach dem Fackelzuge beim Rektorwechsel, veranstaltete. Die Kneipabende gehörten den Quartetten, die vom Platze aus mit durcheinandergemischten Stimmen gesungen wurden. Das eigens für den Verein zusammengestellte Liederbuch „Vivat Paulus“ enthielt eine Auswahl der schönsten Perlen des deutschen Männergesangs. In dieser Pflege des edlen Liedes inmitten fröhlicher Geselligkeit lag hauptsächlich der bestrickende Reiz des Paulinerlebens. „Die Musika“, sagt der sangesfreudige Martin Luther, „ist eine Gabe und Ge­schenk Gottes, so vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich“ und er hat Recht: falls aber doch ein armer Teufel unter uns verweilte, sang er fromm und fröhlich mit

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/79&oldid=- (Version vom 3.6.2024)