Zum Inhalt springen

Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/95

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

in dessen Mauern einst Doktor Martinus seinen Redekampf mit Herrn Professor Eck aus Ingolstadt siegreich bestanden hatte. Es fehlte also nicht an ernsten geschichtlichen Eindrücken, aber ganz ließ ich mich davon nicht beherrschen. Mein Stubenbursche war ein guter Klavierspieler; um mir seine Kunst dienstbar zu machen, übernahm ich zur Hälfte den Mietzins für ein Pianino. Er lud dann häufig einen Landsmann ein, der die Geige gefühlvoll strich, und während die beiden Musik hervorbrachten, lag ich, die mir davon gebührende Hälfte genießend, ausgestreckt auf dem Bette. Selbst auf der Treppe gab es im Hause Zeitvertreib. Ein junges Mädchen, hübsch und nicht allzu schüchtern, hatte lustig trällernd zufällig immer vor der Tür zu tun, wenn einer der Studenten herunterkam. Da schickte es sich natürlich, eine freundliche Ansprache an die Holde zu richten. Mein Freund hatte ihr weisgemacht, ich sei ein Dichter, und sie bat mich daher um ein Erzeugnis meiner Muse. Ich erklärte mich bereit, ihr auf Vorrat eine Grabschrift abzufassen, sie lautete:

Hier ruhet sanft die schöne Berta Munkelt,
gar feurig hat ihr Auge einst gefunkelt,
von Liebesfreude hat sie viel gesungen,
bis Liebesleid zuletzt sie umgebrungen.

Das war so der Ton, in dem ich damals dichtete, er wird sich seitdem nicht wesentlich geändert haben. Aber ich fand An­erkennung: eine Freundin der von mir in der Blüte ihrer Jugend Totverkündeten ließ mich bitten, ihr auch so ein schönes Gedicht zu machen. Daß mein ohnehin etwas zu lebens­freudiger Stubenbursche gerade sein Freiwilligenjahr abdiente, trug nicht dazu bei, unsre Wohnung mit einem wissen­schaftlichen Dunstkreise zu erfüllen. Er nahm es auch mit seinen militärischen Pflichten nicht übermäßig genau, nament­lich machte er sich um das ihm meist fehlende Nachtzeichen wenig Sorge. Wenn er sich auf der Kneipe verspätet hatte, borgte er sich für den Heimweg Hut und Überrock und hängte

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/95&oldid=- (Version vom 5.6.2024)