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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/96

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unter diesem das verräterische Seitengewehr um den Hals. So schritt er, Arm in Arm mit mir, seinen Hauptmann in die Schranken fordernd, dreist und daher ungefährdet an den Nachtstreifwachen vorüber. Bisweilen kam mein lustiger Justus so früh nach Hause, daß es sich für ihn kaum noch lohnte, vor dem Dienst das Bett aufzusuchen. Seine häufigen Streif­züge durch die Nacht der Großstadt, auf denen ich ihn, natürlich nur der Wissenschaft halber, einigemale begleitete, waren wenigstens eine gute Vorübung für den Grenzjägerberuf, dem er sich später, nach vergeblichen Anläufen zum Eindringen in die Geheimnisse der Rechtsgelehrtheit, widmete. Wenn doch unser fleißiger Meister Knieriem, aus dessen Händen so mancher schadhafter Studentenstiefel gut ausgebessert hervorging, auch einmal die besserungsbedürftigen Kunden selbst hätte gehörig in die Kur nehmen können!

Ich machte zum zweiten Male die Erfahrung, daß das Zusammenwohnen mit einem Studienfreunde dem Freunde der Studien nicht immer zuträglich ist. Als daher die Not­wendigkeit anhaltenden Arbeitens an mich herantrat, mußte ich auf eine ruhigere Heimstätte bedacht sein. Ich wählte eine Dachwohnung in der Häusergruppe An der Pleiße, Place de repos, im Volksmunde Pflasterdepot genannt. Die Wahl erwies sich als glücklich, der „Ruheplatz“ war zum Arbeiten wie geschaffen. Ein Wohnzimmer, in der Länge mit drei Schritten zu durchmessen, in der Breite genügend Platz für das Sofa und zwei ausgestreckte Beine bietend, am Fenster im reichlich und billig einströmenden Himmelslicht der Arbeitstisch, draußen für Musestunden eine Art Söller mit dem Fenster­brett als Sitz und der Dachrinne als Fußbank, daneben der Blitzableiter als kürzester Verkehrsweg nach unten, gesprächige Gesellschaft von Tauben und Sperlingen, freie Aussicht auf weite Gärten und darüber hinweg auf Hinterhäuser, an deren Fenstern man Frauen lachend beim Kaffeemahlen, Mädchen weinend beim Meerrettigreiben, Männer beim Pfeifereinigen,

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/96&oldid=- (Version vom 5.6.2024)