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„Weisst du was?“ begann ich wieder zu ihr, „ich stehe schon eine gute Weile vor diesem verlassenen Hofe und kann mich nicht erinnern, wessen Haus denn hier gestanden hat, weshalb man es abgebrochen und was aus seinen Bewohnern geworden ist. Du bist eine bejahrte Frau, hast in alle Winkel unserer Stadt geguckt und musst wohl etwas darüber zu erzählen wissen. Wenn du nichts Wichtiges vorhast, so thue mir doch den Gefallen und erzähle mir das, was du von den einstigen Bewohnern des verschwundenen Hauses weisst.“

Muhme Hripsime richtete ihre Blicke auf den öden Hof und den Kopf schüttelnd, sagte sie:

„Ach, lieber Sohn, die Geschichte dieses Hauses ist so lang wie unsere alten Märchen. Man muss sieben Tage und sieben Nächte erzählen, um zu Ende zu kommen.

„Dieser Hof war nicht immer so öde wie du ihn jetzt siehst. Einst stand hier ein nicht grosses, aber hübsches und sauberes Haus von Holz. Viel besser gefielen mir die hölzernen Häuser von früher als die jetzigen Steinhäuser, die von aussen wie Kasematten aussehen und im Innern wahre Kerker sind. Ein altes Sprüchwort sagt: „Im Stein- oder Ziegelhause wohnt es sich traurig.“

Empfohlene Zitierweise:
Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)