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ein gutes Herz. Was sie gutes that, lässt sich gar nicht erzählen. Wie oft buk sie Prezeln, Kuchen, Milchbrode und Zuckerzwieback und schickte ganze Bleche davon denen, die das nicht haben konnten, denn sie sagte: „Mögen die, die vorübergehen und den Duft meiner Kuchen riechen, nicht umsonst danach verlangen!“

„Um jene Zeit starb mein Mann (Gott mache ihn selig!) und ich blieb mutterseelen allein. Da kam Sarkis’ Frau zu mir und sagte: „Was wirst du da so einsam in deinem Hause wohnen, vermiete es und komme zu uns!“ Ich zögerte natürlich nicht lange, legte alle meine Sachen in einen grossen Kasten und zog zu ihnen und bald lebten wir wie zwei Schwestern mit einander. Takusch war damals fünf Jahre alt, Toros aber war noch ein Säugling. Zehn Jahre wohnte ich in ihrem Hause und hörte während dieser Zeit nicht ein einziges barsches Wort von ihnen. Nicht ein einziges Mal sagten sie zu mir: „du isst unser Brod, du trinkst unser Wasser, du trägst unsere Kleider!“ Nein, solche Reden führten sie nie und im Gegenteil, sie setzten mich an den Ehrenplatz. Ja, so ehrten sie mich. Und du lieber Gott, was war ich denn für sie? Weder eine Mutter, noch Schwester, noch Tante, noch irgend eine

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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)