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überblickt zu haben! – Ich erscheine mir oft als einer, welcher mit gebrechlichem Körper, mit gelähmten Füßen und von Hülfsmitteln entblößt, die feurigsten Seelenkräfte besitzt und die tiefste Sehnsucht empfindet, die Welt im Großen zu sehen – und so gefesselt an seine vier Wände, sie nur auf der Charte durchstreifen kann.

Doch laß uns abbrechen. – Es ist nicht allen vergönnt, einzudringen in die hohen Geheimnisse der Schöpfung. Dir, Du Glücklicher! sind ihre Schleier gelüftet! Du schaust hinein!

Dem ungeachtet will ich nicht undankbar seyn gegen die Vorsehung, die mich vor so vielen meiner Brüder vorteilhaft begünstigte.

Wenn ich auf meine Jugend zurückblicke und meinen da­maligen Zustand dem gegenwärtigen gegenüberstelle – o, Dank sey ihm, dem Vater der Wesen! – so sehe ich unverkennbar, wie väterlich und liebevoll Er sich meiner annahm. Arm (geistig und physisch) verließ ich das kleine Städtchen, wo ich, in ärmlichen Verhältnissen, die ersten Eindrücke von den Freuden, aber, ach! auch von den vielen Leiden dieser Welt empfunden hatte, und wanderte mit meinem nun seit 3 Jahren verewigten Vater nach der Residenz, um hier im großen Ge­wühl der Menge für mich ein Plätzchen herauszusuchen, wo ich Armer den Grundstein zu meinem künftigen Fortkommen legen könnte. Ein Jurist nahm mich auf, und nun begann mein neuer Lebenslauf. Ich, ein unbefangener Knabe, der die Menschen nur als friedliche Wesen kannte, lernte hier in einer Reihe von 5 Jahren die Kabalen kennen, mit denen sie sich, gestützt aus das hochgepriesene Jus, Recht zu verschaffen wissen. Ach, Guter! es ist wohl nichts ärmlicheres unter der Sonne, als diese Formalien und Materialien, Repliken und Dupliken, Interrogatorien, Leuterungen und Appellationen und wie die furchtbaren Dinge alle heißen! Der größte Kabalist, Wort- und Sachverdreher gilt als der größte Jurist und hat den Zulauf der Menge!

In dieser Zeit entstand meine Liebe zu meiner theuern Emilie. Wenn ich nun den ganzen langen Tag in so „herz- und geisterhebenden“

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/30&oldid=- (Version vom 2.3.2024)