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Geschäften verlebt hatte, so entschädigte mich am Abend gar reichlich der Anblick dieses holden Wesens, von dem ich jedoch noch lange nicht durch Gegenliebe beglückt wurde. Am 14. Oktober 1806 endlich, an einem Tage, wo Tausende ihr Grab fanden, wo das Glück Tausender auf immer zertrümmert ward, ging mir die Sonne des Glückes auf; an diesem Tage schwur mir Emilie ewige Freundschaft (eine holde Scham ließ sie das Wort Liebe nicht aussprechen). Es verhielt sich so: der kriegerischen Ereignisse wegen mußten wir mit unsern Schätzen, wie die Bestimmung war, nach Breslau wandern. Emiliens Vater und ich wurden ernannt, die Kassengelder zu begleiten. Hier nun, als Emilie die Mög­lichkeit einer langen Trennung vor sich sah, löste sich die Eisrinde, welche bis dahin ihre Gefühle vor mir verdeckt hatte: sie fiel mir um den Hals und schwur mir, den ersten Kuß auf meine Lippen drückend, ewige Freundschaft. Freund! Nur Du kannst fühlen, welche Empfindungen dieser Kuß er­zeugte! Ein neues Leben goß sich über mich aus! In der Ferne hörte man den dumpfen Donner der mordenden Geschütze auf den blutigen Gefilden Jena's, aber das störte mich Glück­lichen nicht: ich hatte eine Welt gewonnen! Seit jenem merk­würdigen Tage lebe ich in der süßesten Eintracht mit dem holden Wesen, und bald wird ein engeres Band uns um­schlingen! Wenn Du 1814 zu uns kommen wirst, so wirst Du, wenn anders eine gütige Vorsehung unser Vorhaben be­günstigt, Zeuge unseres Glückes seyn!

Wie freue ich mich, dann auch die Glückliche kennen zu lernen, der Du Deine Liebe schenktest! – Grüße sie, Du Guter! Grüße sie aufs innigste von Deinem Freunde! Sage ihr: daß ich sie, der ich sie noch nicht kenne, noch nie gesehen habe, mit der innigsten Liebe umfasse, bloß, weil sie den Freund meiner Seele mit ihrer Liebe beglückt! O wie gern möchte ich das herrliche Wesen sehen, daß Dich, Du Edler, so glücklich macht!

Hochwillkommen im Vaterlande soll uns Deine Ge­liebte seyn!

Wechsellos Dein wahrer Freund
H. W. Rachel.


Empfohlene Zitierweise:
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/31&oldid=- (Version vom 3.3.2024)