Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn | |
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sein. 86 Welcher andere hätte es nicht unangenehm empfunden, wenn er nicht blos zur Auswanderung aus der Heimat gezwungen, sondern auch aus jedem Staate in unbetretene und unwegsame Gegenden vertrieben wurde? Wer wäre nicht umgekehrt und wieder heimgeeilt, hätte nicht auf Zukunftshoffnungen wenig Rücksicht genommen, wäre nicht schleunigst dem gegenwärtigen Mangel entflohen, hätte es nicht für Torheit gehalten, für unbekannte Güter anerkannte Uebel zu wählen? 87 Nur Abraham war offenbar anders geartet, er hielt das Leben ohne die Gesellschaft der grossen Masse für das angenehmste. Und das ist ganz natürlich. Denn die, die Gott suchen und ihn finden wollen, lieben das von ihm geliebte Alleinsein und sind bemüht, eben darin zuerst dem seligsten und glücklichsten Wesen ähnlich zu werden. 88 Somit haben wir beide Auffassungen erörtert, die buchstäbliche, die sich auf den Mann, und die versteckte (allegorische), die sich auf die Seele bezieht, und haben gezeigt, dass sowohl der Mann als auch der Geist liebenswert ist, der Mann, weil er gehorsam den göttlichen Befehlen aus schwer zu lösenden Banden sich losriss, der Geist, weil er nicht für immer in Selbsttäuschung bei der sinnlich wahrnehmbaren Natur stehen blieb und die sichtbare Welt für die höchste und erste Gottheit hielt, sondern in seinem Denken höher stieg und noch ein anderes Sein, ein besseres als das sichtbare, nämlich das rein geistige wahrnahm und den, der zugleich Schöpfer und Herrscher beider (des sichtbaren und des gedachten Seins) ist.
[19] 89 Das war des Gottgeliebten erstes Auftreten, und ihm folgten andere Ereignisse, die keineswegs gering zu schätzen sind. Ihre Grösse ist nicht für jeden klar, sondern nur für solche, die die Tugend kennen und gewohnt sind das, was bei den meisten als bewunderungswürdig gilt, ob der Grösse der seelischen Güter zu belächeln. 90 Nachdem Gott die erwähnte Tat des Weisen freundlich aufgenommen hatte, machte er ihm sogleich ein bedeutendes Gegengeschenk, indem er ihm seine Ehe, als sie in Gefahr war, von einem mächtigen und zügellosen Manne verletzt zu werden, rein und unversehrt erhielt. 91 Die Veranlassung zu diesem Anschlage war folgende
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/25&oldid=- (Version vom 11.5.2019)