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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

aufzusuchen, weit bessere als die leiblichen Genüsse, aus der Betrachtung der Welt und ihres Inhalts[1]. 165 Angemessen war es demnach, dass einer von den fünf Sinnen – wie eine Stadt aus einem Fünfstädteverbande –, der Gesichtsinn, einer besondern Ehre teilhaftig wurde und bei der Vernichtung der andern erhalten blieb; denn er bewegt sich nicht wie jene blos um die vergänglichen Dinge herum, er trachtet vielmehr zu den unvergänglichen Wesen zu gelangen und freut sich an ihrer Betrachtung. 166 Deshalb bezeichnet die h. Schrift diese Stadt sehr gut als „klein“ und „nicht klein“[2], indem sie damit auf den Gesichtsinn hindeutet; klein wird er genannt, weil er nur ein kleiner Teil von uns ist, gross, weil er Grosses erstrebt und eifrig danach verlangt, den ganzen Himmel und die ganze Welt zu betrachten.

[32] 167 Ueber die Erscheinung (der Engel) und über die gerühmte vortreffliche Bewirtung, wobei der Gastgeber zu bewirten schien und (eigentlich) bewirtet wurde, haben wir in gründlicher Erörterung der Stelle, soweit es uns möglich war, gesprochen. Aber eine sehr bedeutsame Tat, die wert ist vernommen zu werden, dürfen wir nicht verschweigen; denn fast möchte ich behaupten, sie übertrifft alle gottgefälligen Werke. 168 Es soll jedoch nur das Hauptsächlichste darüber gesagt werden. Ein ehelicher Sohn wird dem Weisen von seiner Gattin geboren, ein geliebter einziger Sohn, der mit allen Vorzügen des Körpers und der Seele ausgestattet war; denn er zeigte bald Tugenden eines reiferen Alters, so dass der Vater ihn mit grosser Zärtlichkeit liebte, nicht nur aus natürlicher Zuneigung, sondern auch, wie ein Sittenrichter, auf Grund eines bestimmten Urteils[3]. 169 In solcher Gesinnung erhielt er plötzlich und ganz unerwartet den göttlichen Befehl, seinen Sohn auf einem hochgelegenen Hügel weit von der Stadt, drei Tagereisen entfernt, zu opfern. 170 Obwohl

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/41&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
  1. Vgl. Ueber die Weltschöpfung § 53f. Der Gedanke stammt aus Plato (Tim. p. 47).
  2. Philo nimmt hier keine Rücksicht darauf, dass die Worte der Septuaginta über die gerettete Stadt (1 Mos. 19,20) οὐ μικρά ἐστι ein Fragesatz sind.
  3. Ebenso beginnt Josephus Altert. I § 222 die Erzählung von der Opferung Isaaks mit der Bemerkung, dass Isaak wegen seiner Tugenden die zärtliche Liebe seiner Eltern ganz besonders verdiente.