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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

er nun mit unsagbarer Liebe an seinem Kinde hing, wechselte er weder die Farbe noch zuckte er in der Seele zusammen; ohne zu wanken, blieb er in seinem festen und unerschütterlichen Glauben wie zuvor; von der Liebe zu Gott beherrscht, überwand er mit aller Kraft alle verwandtschaftliche Liebe und Zärtlichkeit, sagte keinem von seinen Hausleuten etwas von dem göttlichen Auftrag, nahm aus seiner zahlreichen Dienerschaft nur die zwei ältesten und ihm besonders ergebenen Haussklaven und zog mit ihnen und mit seinem Sohne wie zu einer der üblichen Opferhandlungen aus. 171 Als er den ihm bestimmten Ort wie von einer Warte von weitem erblickte, befiehlt er den Dienern zurückzubleiben und gibt seinem Sohne das Feuer und das Holz zu tragen, da er es für angemessen hielt, dass das Opfer selbst mit den zum Opfern nötigen Dingen beladen wird; eine nicht so schwere Bürde, denn nichts macht weniger Mühe als die Frömmigkeit. 172 Indem sie nun in gleichem Schritt, nicht sowohl mit dem Körper als vielmehr mit dem Geiste, den kurzen Weg hinaufschritten, dessen Ziel ein frommes Werk war, langten sie [26 M.] an dem befohlenen Orte an. 173 Sodann trug der Vater Steine zusammen, um einen Altar zu bauen, der Sohn aber, der sah, dass alles andere, was zur Opferung gehört, bereit lag und nur kein Tier vorhanden war, blickte den Vater an und sprach: „siehe, da ist das Feuer und das Holz, Vater, doch wo ist das Opfertier“? 174 Ueber solche Worte wäre wohl ein anderer, der weiss, was er tun soll, und es in seiner Seele verbirgt, ganz bestürzt in Tränen ausgebrochen und hätte, wenn er auch schwieg, durch seine heftige Gemütsbewegung verraten, was geschehen sollte. 175 Er aber erfuhr keine Erschütterung, weder eine körperliche noch eine seelische; mit festem Blick und festem Sinn antwortete er auf die Frage und sagte: „mein Kind, Gott wird sich selbst ein Opfer ersehen, auch in weiter Einöde, wo ein solches, wie du vielleicht denkst, nicht zu finden ist; denn wisse, Gott ist alles möglich, auch was bei den Menschen schwierig und unmöglich ist“. 176 Und während er dieses sagte, ergriff er rasch den Knaben, legte ihn auf den Altar, zog mit der Rechten das Schwert und legte es an, um ihn zu töten; aber Gott der Retter

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/42&oldid=- (Version vom 11.5.2019)