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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

dieser beiden Charaktere hat gewissermassen Herden im Besitz; der eine, der nach den äusseren Gütern verlangt, hat Silber, Gold, Gewänder, überhaupt alles was zum Reichsein gehört, ferner Waffen, Kriegsmaschinen, Kriegsschiffe, Reiterei und Fussvolk und Seemacht, die Mittel zur Herrschaft, durch die die Macht gesichert wird; der andere, der das sittlich Gute liebt, hat die zu jeder Tugend gehörigen Grundsätze und die Lehren der Weisheit selbst. 221 Ueber beide sind Aufseher gesetzt, sowie Hirten über Herden; die Aufseher der äusseren Güter sind die Streber nach Geld und Ruhm, nach Feldherrnwürde und nach Herrschaft über die Volksmassen; die Aufseher der seelischen Güter sind alle, die die Sittlichkeit und die Tugend lieben, die nicht die unechten Güter den echten, sondern die echten den unechten vorziehen. 222 Es entsteht nun ein natürlicher Streit zwischen ihnen, da sie in keiner Sache derselben Meinung sind, sondern stets über die wichtigste Angelegenheit im menschlichen Leben mit einander uneins sind und streiten, nämlich über die Schätzung der wahren Güter. 223 Eine Zeitlang hat die Seele gekämpft und diesen inneren Aufruhr durchgemacht, da sie noch nicht völlig geläutert war und ihre Leidenschaften und Krankheiten noch das Uebergewicht hatten über die gesunden Gedanken; sobald sie jedoch anfängt mächtiger zu werden und das Bollwerk der entgegengesetzten Meinungen mit stärkerer Kraft zu zerstören, bekommt sie Flügel und wird von mutiger Gesinnung erfüllt und sondert die Sinnesart in ihr, die die äusseren Mittel bewundert, ganz aus und verabschiedet sie und sagt, als ob sie sich mit ihr wie mit einem Menschen unterhielte: 224 du kannst unmöglich mit dem Freunde der Weisheit und Tugend zusammenleben und verbunden sein; gehe also, wandre weiter und entferne dich, da du keine Gemeinschaft mit ihm hast und sie auch nicht haben kannst; denn alles, wovon du glaubst, dass es rechts liegt, das liegt nach seiner Meinung links, und was dir hingegen links erscheint, das hält er für rechts.

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/51&oldid=- (Version vom 11.5.2019)