Zum Inhalt springen

Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/50

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

zusammenwohnen und an demselben Orte leben, wenn sie verschiedener Meinung sind, mit einander streiten und immerfort Zwistigkeiten und Kämpfe gegen einander erregen, so hielt er es, damit dies nicht wieder geschehe, für vorteilhaft, das Zusammenleben aufzugeben und getrennt zu wohnen. Er ruft seinen Bruderssohn herbei und überlässt ihm die Wahl des besseren Landes; gern gestattet er ihm, sich den Teil zu nehmen, den er sich auswählen würde; denn den Frieden zu gewinnen schien ihm der grösste Gewinn. 216 Welcher andere würde wohl, wenn er der stärkere ist, einem schwächeren Platz machen? wer würde, wenn er siegen kann, lieber den kürzeren ziehen wollen und nicht von seiner Macht Gebrauch machen? Nur dieser (Weise) erblickte das Beste nicht in der Stärke und in der Ueberlegenheit, sondern in einem stillen und, so weit es an ihm lag, ruhigen Leben; daher gewann er auch augenscheinlich die Bewunderung aller.

[38] 217 Wir haben nun die lobende Darstellung (der h. Schrift), insofern es sich um den Menschen handelt, nach ihrem Wortsinn betrachtet; da aber nach denen, die ausser dem buchstäblichen Sinn einen geistigen (allegorischen) annehmen, zugleich seelische Erscheinungen darin ausgedrückt sind, so dürfte es angemessen sein, auch diese zu untersuchen. 218 Solcher gibt es unzählige, die aus unzähligen Gründen in Handlungen mannigfacher Art vorkommen; hier sollen aber nur zwei beurteilt werden, von denen die eine älter, die andere jünger ist; die ältere hält das seiner Natur nach Erste und Herrschende in Ehren, die jüngere das Untertänige und was als das Letzte gelten muss. 219 Aelter sind nun und zum Herrschen berechtigt die Einsicht, die Besonnenheit, die Gerechtigkeit und die Tapferkeit, sowie alles, was zur Tugend gehört, und alle tugendhaften Handlungen [32 M.] jünger dagegen Reichtum, Ruhm, Herrschaft und Adel, nicht der wahre, sondern der, den die Menge dafür hält, und alles übrige, was nach den seelischen und körperlichen (Gütern) den dritten Rang einnimmt, der zugleich der letzte ist[1]. 220 Jeder

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/50&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
  1. Philo unterscheidet, wie Aristoteles, drei verschiedene Güterklassen: seelische Güter (τὰ περὶ ψυχήν, die Tugenden), körperliche Güter (τὰ περὶ σῶμα, Gesundheit, Schönheit, Stärke) und die äusseren Güter (τὰ ἐκτός, WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Reichtum, Ehre, Ruhm, edle Abstammung). Die Geringschätzung der äusseren Güter ist besonders stoische Anschauung.