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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

vor, die man nicht falschen Zeugnisses beschuldigen darf: sie erzählen nämlich, dass er, nachdem er kurze Zeit die Tote beweint hatte, alsbald „von der Leiche sich erhob“ (1 Mos. 23,3); denn offenbar war er der Meinung, dass ein Uebermass von Trauer unvereinbar sei mit der Weisheit, die ihn gelehrt hatte, den Tod nicht als ein Auslöschen der Seele, sondern als eine Loslösung und Trennung von dem Körper zu betrachten, da sie dahin geht, woher sie gekommen ist; gekommen aber ist sie, wie in der „Weltschöpfung“ gezeigt worden ist[1], von Gott. 259 Sowie nun kein Verständiger betrübt sein wird, wenn er eine Schuld abzahlt oder ein anvertrautes Gut dem zurückgibt, der es ihm zur Aufbewahrung übergeben hat[2], ebenso glaubte er auch nicht hadern zu dürfen, wenn die Natur das ihrige zurücknahm, sondern das Unabänderliche ruhig hinnehmen zu müssen. 260 Als nun die Angesehensten jener Gegend herbeikamen, um an seiner Trauer teilzunehmen, und nichts von alldem sahen, was in ihrer Mitte bei Trauerfällen üblich war, kein Jammern, keine Totenklage, kein Schlagen an die Brust, weder von Männern noch von Weibern, sondern nur stille und massvolle Trauer des ganzen Hauses, wunderten sie sich nicht wenig, wiewohl sie auch schon früher über die ganze Lebensweise des Mannes erstaunt waren. 261 Da konnten sie das Lob über so grosse und so herrliche Tugend – denn alles an ihm war ja ausgezeichnet – nicht in ihrer Seele verschliessen; [38 M.]sie traten an ihn heran und riefen aus: „ein König von Gott (gesandt) bist du unter uns“ (1 Mos. 23,6). Eine sehr richtige Bezeichnung; denn alle andern Regierungen werden von Menschen eingesetzt, in Kriegszeiten, bei Feldzügen, infolge von manchem Bösen, das die Herrschsüchtigen einander zufügen, indem sie sich gegenseitig aufreiben und Fussvolk und Reiterei und Seetruppen gegen einander aufstellen. Das Königtum des Weisen dagegen verleiht Gott, und wenn der

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/59&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
  1. Ueber die Weltschöpfung § 185.
  2. Vgl. Abot R. Nathan c. 14: (R. Eleasar sagte zu R. Jochanan b. Sakkai): „dein Sohn wurde sündenfrei von dieser Welt abberufen, deshalb tröste dich, dass du den dir zur Aufbewahrung anvertrauten Gegenstand unversehrt zurückerstattest“.