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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

sind in jenen Männern verkörpert, die er aus zwei Gründen verherrlicht hat: weil er erstens zeigen wollte, dass die gegebenen Verordnungen mit der Natur in Einklang stehen, zweitens, dass es den Gutwilligen nicht viel Mühe machen kann, nach den geschriebenen Gesetzen zu leben, da die Früheren, bevor noch die besonderen Gesetze überhaupt aufgeschrieben waren, leicht und gern nach der ungeschriebenen Gesetzgebung gelebt haben, so dass man wohl sagen muss, dass die gegebenen Gesetze nichts anderes sind als Kommentare zum Leben der Alten, die uns ihre Taten und Worte künden. 6 Denn ohne Zöglinge und Schüler von irgend wem gewesen zu sein und ohne dass sie von Lehrern darüber belehrt waren, was man tun und reden müsse, haben jene Männer, nur der eigenen inneren Stimme folgend und durch sich selbst belehrt, an die Ordnung der Natur sich angeschlossen und in der Ueberzeugung, dass die Natur selbst die älteste Satzung sei, wie sie es in Wahrheit ist, ihr ganzes Leben in schönster Gesetzlichkeit vollbracht, indem sie aus freiem Willen nichts Sündhaftes taten, bei allen Schicksalsfügungen aber Gott anriefen und durch Bitten und Flehen seine Gunst zu gewinnen suchten zur Erlangung einer vollkommenen Lebensführung, die sich teils in vorsätzlichen teils in unbeabsichtigten Handlungen vollzieht.

[2] 7 Da nun aber der Anfang des Gütergenusses die Hoffnung ist und da die tugendhafte Seele, die das wahrhaft Schöne zu erlangen bestrebt ist, die Hoffnung wie eine Verkehrsstrasse bahnt und öffnet, so nannte er den ersten Liebhaber der Hoffnung „Mensch“ und gab ihm in besonderer Bevorzugung den gemeinsamen Namen des Geschlechts – die Chaldäer[1] nämlich nennen den Menschen Enos[2] –, 8 weil nur der in Wahrheit Mensch sei, der das Gute erwartet und auf gute Hoffnungen sich stützt. Hieraus folgt, dass er den Hoffnungslosen nicht für einen Menschen, sondern für ein menschenähnliches Tier hält, dem die beste Eigenschaft der

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/7&oldid=- (Version vom 9.3.2019)
  1. Philo gebraucht bei sprachlichen Erklärungen den Ausdruck „Chaldäer“ gleichbedeutend mit „Hebräer“.
  2. Die Worte Χαλδαῖοι – καλοῦσιν sind als Parenthese zu fassen. [L. C.]