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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

zusammen im Leiden trauerten und, wenn etwas Nützliches zustieß, gemeinsam sich freuten.[1] 7 Indem sie Freude und Trauer teilten, gaben sie in der gemeinsamen Sprache ihre Lust und Unlust kund, [406 M.] woraus die Gleichmäßigkeit der Sitten und der Gefühle entstand. Endlich aber erzeugte die Fülle der zur Verfügung stehenden Güter Übersättigung, was oft der Fall ist;[2] daher ließen sie sich vom Verlangen nach dem Unerreichbaren verleiten, schickten Gesandte (an Zeus) wegen der Unsterblichkeit, forderten die Beseitigung des Alters und die ewige Blüte der Jugendzeit, indem sie darauf hinwiesen, daß unter ihnen bereits dem kriechenden Tiere, der Schlange, diese Gabe zuteil wurde, da sie das Alter ablegen und sich verjüngen kann; es wäre doch unrichtig, daß die starken Tiere hinter dem schwachen und Alle hinter Einem zurückbleiben sollten. Sie mußten aber ihre Verwegenheit gehörig büßen. 8 Denn sie wurden daraufhin sogleich verschiedensprachig, sodaß sie sich seit jener Zeit nicht mehr verständigen können infolge der Verschiedenheit der Sprachen, in die die eine gemeinsame sich auflöste. 9 [4] Er aber (der Gesetzgeber) kam der Wahrheit näher dadurch, daß er zwischen den vernunftbegabten und den vernunftlosen[3] Wesen unterschied und nur den Menschen die Gleichsprachigkeit zuschrieb.[4] Aber auch das ist ihrer Ansicht nach märchenhaft. Die Auflösung der Sprachen in viele Mundarten, welche (die Schrift) Sprachverwirrung nennt, sollte ja zur Abschaffung der Missetaten beitragen, auf daß sich die Menschen nicht mehr zum Freveln verständigen, sondern gleichsam taub gegeneinander (ein jeder für sich schaffe, nicht aber) *** in gegenseitiger Hilfeleistung dasselbe unternehmen.[5] 10 (Die Verwirrung) scheint aber nicht zu ihrem Vorteil erfolgt zu sein. Denn auch jetzt, trotzdem die Menschen nach Volksstämmen angesiedelt sind und


  1. Vgl. Plato Polit. 272Bf.; Jamblichos De vita Pythag. § 178.
  2. Philo spielt gern auf die sprichwörtlich gewordenen Worte Solons an τίκτει κόρος ὕβριν (Sättigung zeugt Übermut).
  3. Die griechischen Worte bedeuten (gemäß dem Doppelsinn von Logos) auch sprachbegabt und sprachlos. Über die Sprache als unterscheidendes Merkmal des Menschen vgl. All. Erkl. II § 14f und Anm. Auf den Unterschied von Mensch und Tier legten die Stoiker besonders Gewicht.
  4. Auch dieser Satz ist wohl Einschub Philos (s. die letzte Anm. zu § 5), der auch sonst nachzuweisen sucht, daß die Bibel, auch wörtlich verstanden, höher steht als die heidnische Mythologie, Vgl. Bréhier, Les idées philosophiques et rel. de Philon d’ Alexandrie S. 64.
  5. 5 <Καθ' ἑαυτὸν ἕκαστος ἐργάζωνται, ἀλλὰ μή> ergänzt Wendland (Rhein. Mus. 53, S. 18) nach De mut. nom. § 4.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/006&oldid=- (Version vom 1.8.2018)