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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

Ort erblicken,[1] an dem der unbewegte und unwandelbare Gott steht, „und was sich unter seinen Füßen befindet, wie ein Werk aus Saphirziegel und wie eine Feste des Himmels“ (2 Mos. 24, 10),[2] die wahrnehmbare Welt, auf die mit diesen Worten hingedeutet wird. 97 Es ziemt sich nämlich, daß die, welche einen Freundschaftsbund mit dem Wissen eingegangen sind, das Verlangen haben, das Seiende zu schauen, wenn sie aber dies nicht vermögen, dann wenigstens sein Abbild, den allerheiligsten Logos, und danach das unter den sinnlichen Dingen vollkommenste Werk, diese Welt.[3] Denn philosophieren heißt nichts anderes als danach streben, diese Dinge klar zu schauen.[4] [21] 98 Die wahrnehmbare Welt nennt (die Schrift) einen Fußschemel Gottes aus folgenden Gründen: erstens um zu zeigen, daß nicht im Gewordenen die wirkende Ursache sei; zweitens, um zu veranschaulichen, daß auch die ganze Welt nicht losgelassen und frei sich bewege, sondern daß Gott, der Lenker des Alls, sie besteige, alles heilsam leitend und lenkend;[5] dabei gebraucht er weder Füße noch Hände noch überhaupt irgendwelchen anderen Teil der Erschaffenen, nach der richtigen Ausdrucksweise – „denn nicht wie ein Mensch ist Gott“ (4 Mos. 23, 19) –,[6] nicht derjenigen, die ausschließlich zu unserer Belehrung dient,[7] die wir nicht imstande sind aus uns selbst hinauszukommen, vielmehr die Vorstellung vom Ungewordenen unseren eigenen Eigenschaften entnehmen.[8] 99 Vortrefflich ist aber im Gleichnis die Welt als einem Ziegel ähnlich geschildert. Denn wie dieser scheint auch die Welt, mit dem sinnlichen Auge betrachtet, ganz fest zu stehen; in Wirklichkeit bewegt sie sich sehr schnell [420 M.] und übertrifft darin sämtliche Einzelgebilde. 100 Am Tage nämlich stellen sich die körperlichen Augen die Sonne und bei Nacht den Mond als stehend vor.


  1. Die LXX hat das Anstoß erregende ויראו את אלהי ישראל und sie er blickten den Gott Israels (2 Mos. 24, 10a) in: sie sahen dem Ort, an dem Gott Israels stand - absichtlich geändert. Vgl. Siegfried, Philo von Alexandria, S. 18. Zur Bedeutung des „göttlichen Ortes“ vgl. De somn. I § 62.
  2. So verstand die LXX die Worte כעצם השמים‎; eigentlich: wie der Himmel selbst. Zur Stelle vgl. De somn, II § 222.
  3. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 6.
  4. Nach dem Vorgang der Stoa definiert Philo die Philosophie als ein Wissen um die göttlichen und menschlichen Dinge.
  5. Vgl. Über die Einzelges. I § 14.
  6. Vgl. Über die Geburt Abels § 14; Über die Unveränderlichkeit Gottes § 53; Über die Wand. Abr. § 113; De somn. I § 237.
  7. Ergänze (κατὰ τὸν λόγον) ... τὸν ἕνεκα διδασκαλίας, εἰσαγόμενον.
  8. Vgl. Über die Unveränderlichkeit Gottes § 33f. u. ö.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/028&oldid=- (Version vom 1.8.2018)