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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

gesprochen, da es den Leichtfertigen nicht genügte, nur die Rechte der Gleichbürtigen umzustoßen,[1] sondern sie sich sogar an das Olympische wagten, Unrecht säend und Gottlosigkeit erntend. 153 Aber kein Nutzen (erwächst daraus) für die Elenden; denn mit der Gottlosigkeit verhält es sich nicht so wie mit dem gegenseitigen Unrechttun, wobei sie vieles von ihren Vorhaben verwirklichen, indem sie durch die Tat bekräftigen, was sie in unvernünftigem Sinnen ausgedacht haben: das Göttliche bleibt ja unbeschädigt und unversehrt. Da sie gegen es sündigen, finden sie, die der Läuterung nicht mehr fähig sind, nur den Anfang, erreichen aber nie das Ziel. 154 Deshalb heißt es auch „sie begannen zu tun“: (denn) als solche, die nach dem gesetzwidrigen Handeln ein ungestilltes Verlangen haben, wurden sie der Laster gegen das, was auf der Erde, im Meere und in der Luft sich befindet, dem eine vergängliche Natur zuteil wurde, überdrüssig und hatten die Absicht, sich gegen die göttlichen Wesen im Himmel umzustellen; diesen aber ist kein Geschaffenes imstande, außer der Lästerung, auf irgendwelche Weise Schlimmes zuzufügen;[2] ja, selbst das Lästern bringt keinen einzigen Schaden den Gelästerten, die die eigene Natur nie einbüßen, vielmehr (bringt es) unheilbare Leiden denen, die mit Anklagen (gegen jene) auftreten. 155 Obgleich sie nur angefangen haben ohne das Ziel ihres gottlosen Treibens erreichen zu können, sind sie nichtsdestoweniger zu bezichtigen, als ob sie sämtliche Absichten in die Tat umgesetzt hätten.[3] Aus diesem Grunde heißt es auch, daß sie den Turm vollendet haben, obwohl sie diesen (in Wirklichkeit) nicht vollendet haben. So heißt es: „Gott stieg herab, um zu sehen die Stadt und den Turm“, nicht den sie „bauen wollten“, sondern den sie bereits „gebaut hatten“ (1 Mos. 11, 5). [30] 156 Welchen Beweis gibt es also dafür, daß dies Unternehmen nicht vollbracht wurde? Erstens ist es der Augenschein: denn


  1. Eigentlich: die Rechtsbestimmungen, die im Verhältnis zu Gleichbürtigen (also Menschen) gelten: Gegensatz sind Pflichten gegen die Götter.
  2. Nach Mangeys Konj. ἃς τι τῶν ὄτων.
  3. Auch nach dem Talmud (Kidduschin 40a) wird schon die Absicht des Götzendienstes von Gott geahndet. Götzendienst (עבודה זרה‎) ist aber im Talmud ein sehr weiter Begriff, der verschiedene Arten der Gottlosigkeit umfaßt. Der Midrasch (Tanchuma zu 1 Mos. 11, 3; Sanhedrin 109a) macht allerdings denen, die den Turm zu Babel bauten, auch Götzendienst zum Vorwurf. Indes wird von Philo die Behauptung von der Strafbarkeit der bloßen Absicht verallgemeinert, S. unten § 159f.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/042&oldid=- (Version vom 1.8.2018)