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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

zu lassen, die an sich unbändig ist und die man nur mit knapper Not besänftigen kann, wenn man sie durch Zügel und Peitschenschwingen lenkt. 166 Deshalb erging folgender mildevoller Spruch des gnadenreichen Gottes, in dem den Freunden der Bildung[1] gute Hoffnung in Aussicht gestellt wird: „Ich werde dich nicht freigeben[2] und nicht verlassen“ (Jos. 1, 5). Wenn nämlich die Bande, durch die die Seele festgehalten wird, gelockert sind, erfolgt das größte Unheil, daß sie von Gott verlassen wird, der um das Weltall unzerstörbare Bande, seine Kräfte,[3] legte, mit denen er das All zusammenschnürte und über dessen Unlösbarkeit entschied. 167 Es heißt jedoch auch an anderer Stelle: „was mit einem Band verknüpft ist, ist rein“ (4 Mos. 19, 15).[4] Denn die Loslösung ist die Ursache der unsühnbaren Verderbnis. Bewundere also nie einen Bösen, wenn du siehst, daß er alles, wozu immer er sich aufmacht, leicht erreicht, als ob er dadurch erfolgreich wäre, sondern im Gegenteil bemitleide ihn als Unseligen, da er in Mangel an Tugend und in Fülle an Schlechtigkeit sein Leben zubringt.

[33] 168 Es verdient auch ernsthaft untersucht zu werden, welchen Sinn die Worte haben, die Gott in den Mund gelegt werden: „wohlan wir wollen herabsteigen und daselbst ihre Sprache verwirren“ (1 Mos. 11, 7). Er scheint nämlich manche als seine Helfer anzusprechen. Ebenso lautet es vorher bei der Schöpfung der Menschen. 169 Denn es heißt: „Es sprach Gott, der Herr: wir wollen einen Menschen machen nach unserem Ebenbilde und unserer Ähnlichkeit“ (1 Mos. 1, 26),[5] wobei das „wir wollen machen“ auf eine Vielheit hinweist. Und hinwiederum „Es sprach Gott: siehe, Adam wurde wie einer von uns, Gutes und Böses zu erkennen“ (1 Mos. 3, 22). [431 M.]Denn die Wendung „wie einer von uns“ wird nicht von einen sondern von vielen ausgesagt. 170 Es muß nun zunächst gesagt werden, daß nichts von dem, was da ist, Gott gleichwertig ist, sondern es nur einen Herrscher, Führer und König gibt, dem allein es ziemt,


  1. Vgl. De mut. nom. § 29f.
  2. Eig. preisgeben; doch s. vorige Anm. Freigeben ist als Gegensatz zu festhalten, zusammenhalten gedacht.
  3. Die Logoi.
  4. Frei zitiert. Die Stelle heißt: ein jedes Gefäß, daß nicht mit einem Deckel (LXX δεσμῷ) zugebunden ist, ist unrein. Vgl. Über die Nachstellungen § 103. - Gemeint ist: das Ungebundensein ist nicht immer ein Vorzug.
  5. Vgl. Über die Weltschöpfung § 72; De fuga et invent. § 86f.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/046&oldid=- (Version vom 1.8.2018)