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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

unfruchtbar, das Böse zu gebären, besitzt aber die Fähigkeit, die Tugendgüter so leicht zur Welt zu bringen, daß sie nicht einmal der Hebammenkunst bedarf, sondern sofort niederkommt.[1] 4 Tiere und Pflanzen bringen nach langen Pausen nur einmal oder höchstens zweimal im Jahr in einer Zahl, die die Natur entsprechend den Jahreszeiten für jede Art bestimmt hat, die ihrer Gattung eigentümliche Frucht hervor. Die Tugend aber setzt nie aus, sondern gebiert ununterbrochen und ohne Unterlaß in kleinsten Zeitabschnitten, aber niemals Menschenkinder, sondern edle Worte, untadlige [520 M.] Entschlüsse und lobenswerte Handlungen.[2] [2] 5 Doch wie Reichtum, den man nicht gebrauchen kann, seinen Besitzern nichts nützt, so ist es auch mit der Gebärfähigkeit der Vernunft, wenn sie nicht auch für uns selbst etwas Nützliches zur Welt bringt. Denn die einen erachtete sie (die Tugend) des Zusammenlebens[3] mit ihr für durchaus würdig,[4] die anderen schienen ihr offenbar noch nicht die Reife zu besitzen, um ein lobenswertes und gesittetes häusliches Eheleben zu ertragen. Diesen gestattete sie das Opfer, das vor der Ehe dargebracht zu werden pflegt, und eröffnete ihnen damit die Hoffnung auf das Eheopfer selbst.[5] 6 Sara, die meine Seele lenkende Tugend, gebar nun zwar, aber nicht für mich;[6] denn, da ich[7] noch zu jung war, konnte ich ihre Erzeugnisse: das Vernünftigsein, das rechtschaffene Handeln, das Frommsein, wegen der Fülle der unehelichen Kinder, die mir der eitle Wahn geboren hatte, nicht aufnehmen. Denn deren Nährung, ständige Pflege und unaufhörliche

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 05. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/005&oldid=- (Version vom 20.11.2016)
  1. Vgl. die vorige Anm. sowie Text und Anm. zur Schrift Über die Wanderung Abrahams § 142.
  2. Vgl. Über Abraham § 101.
  3. Über die Metapher von der συμβίασις des Weisen mit der σοφία vgl. Weisheit Salomos 8, 9. 16.
  4. Das sind die Vertreter der auserwählten Klasse, das αὐτομαθὲς γένος, vgl. § 35 Anm. 4.
  5. Über diese, dem griechischen Eherecht entnommenen Metaphern vgl. Ruhnken, Timaeus s. v. προτέλεια, der auch Philo: Über Abraham § 89 zitiert. [Vgl. Heinemann, Philons griech. u. jüd. Bildung, S. 618. M. A.]
  6. Philo urgiert hier den seiner Erklärung zugrundeliegenden Bibeltext: „Sarah ... gebar ihm keine Kinder“, indem er das „ihm“ zunächst als dat. commodi (‘zu seinem Nutzen’) und dann (§ 7 Ende und § 9) als Dativ des Besitzes erklärt.
  7. Über dieses „Ich“ (bzw. „Wir“) vgl. § 6. 9. 18f. 72. 80. 88. 121.