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Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/009

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

Eigenart[1] pflegt, die die Natur keinem anderen Lebewesen verliehen hat. Die 18 Dialektik aber, Schwester oder, wie einige sagen, Zwillingsschwester der Rhetorik,[2] scheidet die wahren von den falschen Gründen, widerlegt die sophistischen Scheinargumente und heilt somit von einer großen Krankheit der Seele, der Trugrede. Mit diesen und anderen gleichartigen[3] Gegenständen sich zu beschäftigen und sich vorher zu üben ist nützlich. Denn sicher (vielen ist es so ergangen), sicher können wir durch Vermittlung der Untertanen mit den königlichen Tugenden bekannt werden. 19 Siehst du nicht, daß auch unser Körper erst dann eine feste [522 M.] und üppige Nahrung aufnehmen kann, wenn er in der Säuglingszeit einfache und milchige Kost zu sich genommen hat?[4] Ebenso glaube auch, daß als Kindheitsnahrung der Seele die enkyklische Wissenschaft mit ihren speziellen Wissensfächern bereitsteht, und danach als vollkommene und nur für wahrhafte Männer geeignete Speise die Tugenden.

[5] 20 Die besonderen Eigentümlichkeiten der allgemeinen Bildung treten im Symbol in doppelter Form hervor: in der Abstammung und im Namen. Denn von Abstammung ist sie Ägypterin und ihr Name lautet Hagar, was in der Übersetzung „Beisassentum“ bedeutet.[5] Wer sich nämlich den enkyklischen Wissenschaften anschließt und Freund des Vielwissens ist, ist mit Notwendigkeit dem irdischen und ägyptischen[6] Körper beigesellt, da er die Augen braucht, um zu sehen und zu lesen, die Ohren, um zu lauschen und zu hören, und die anderen Sinneswerkzeuge, um alle Dinge der Sinnenwelt aufzunehmen. 21 Denn ohne ein urteilendes Organ kann der zu beurteilende Gegenstand nicht begriffen werden. Die sinnlichen Gegenstände werden aber von den Sinnesorganen beurteilt, so daß kein Gegenstand der sinnlichen Welt, in deren Grenzen sich die Philosophie

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 09. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/009&oldid=- (Version vom 20.11.2016)
  1. D. h. die Fähigkeit zum logischen Denken.
  2. Vgl. Hans von Arnim, Dion von Prusa S. 11.
  3. Mit diesen Worten deutet Philon an, daß er in der Aufzählung der propädeutischen Fächer die Astronomie und Arithmetik übergeht. Vgl. § 74 Anm. 3.
  4. Der Vergleich stammt aus der hellenistischen Moralphilosophie und kam von dort auch zu Paulus, vgl. I Cor. 3, 2 (s. a. Hebr. 5, 12ff. I Petrus 2, 2); er ist auch in der jüdischen Philosophie des Mittelalters beliebt.
  5. Der Name הגר‎ wird hier von der Wurzel גוּר‎ abgeleitet (vgl. גֵר‎ = πάροικος). Zur Allegorese der Hagar vgl. Allegorische Erklärung III § 244f. u. ö. Zum Folgenden vgl. Quaest. in Gen. III § 19.
  6. Über die allegorische Deutung Ägyptens s. u. S. 25 Anm. 5.