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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

zum größten Teil hält, ohne sie genau untersucht werden kann. Die Sinneswerkzeuge, der körperlichste Teil der Seele,[1] sind nun im Gefäß der Gesamtseele verwurzelt. Dieses Gefäß der Seele wird symbolisch als Ägypten bezeichnet. 22 Dies ist das eine Kennzeichen, das ihrer Abkunft, das die Magd der Tugend besitzt. Laßt uns jetzt sehen, welcher Art das im Namen enthaltene sei. Es steht fest, daß die sog. allgemeine Bildung die Stelle eines Beiwohners einnimmt.[2] Denn Wissenschaft, Weisheit und jede Tugend sind eingeborene, autochthone und in Wahrheit alleinige Vollbürger des Alls, die anderen Bildungszweige können im Wettstreit mit ihnen nur den zweiten, dritten und letzten Preis gewinnen und stehen in der Mitte zwischen Fremden und Vollbürgern. Sie gehören keiner Gattung von beiden in voller Reinheit an, haben aber doch mit beiden bestimmte Gemeinsamkeiten. 23 Denn ein Beisasse steht hinsichtlich seines Aufenthaltsrechts in der Stadt den Vollbürgern, hinsichtlich seines Niederlassungsrechtes den Ausländern gleich.[3] Ebenso stehen ja auch die Adoptivkinder, insofern sie ihre Adoptiveltern beerben können, den Vollbürtigen, darin daß sie aber nicht von jenen gezeugt worden sind, den Unehelichen gleich. Im gleichen Verhältnis wie eine Herrin zur Dienerin, eine rechtmäßige Frau zum Kebsweib, steht auch Sara, die Tugend, zu Hagar, der Bildung. Daher ist billigerweise die Frau dessen, der nach Erkenntnis und Wissenschaft strebt und Abraham heißt, die Tugend genannt Sara, während sein Kebsweib die gesamte enkyklische Bildung, genannt Hagar, ist. 24 Wer von der Belehrung zur rechten sittlichen Einsicht gelangt, wird Hagar nicht verwerfen. Denn die Aneignung der Vorbildung ist unbedingt notwendig.[4] [6] Wenn sich aber jemand entschlossen hat, den Kampf um die Tugend durchzufechten, sich ständig mit ihr beschäftigt und nicht von der Tugendübung abläßt, so darf er dafür zwei edelbürtige Frauen und die gleiche Zahl von Kebsweibern, [523 M.] deren Dienerinnen,

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/010&oldid=- (Version vom 28.11.2016)
  1. Die stoische Psychologie, der Philo folgt, unterscheidet einen unvernünftigen (ἄλογον), den Trieben des Körpers unterworfenen, und einen vernünftigen Seelenteil (s. u. § 26). Vgl. Über die Trunkenheit § 70 Anm. 2.
  2. πάροικος s. o. S. 9 Anm. 5 die etymologische Deutung des Namens der Hagar.
  3. Über die staatsrechtliche Unterscheidung zwischen κατοικεῖν und παροικεῖν (Ansässigkeit in einer Polis mit oder ohne Bürgerrecht) vgl. Über die Verwirrung der Sprachen § 76 Anm. 1. Mit solchen Halbbürgern gibt es keine Vollehe: s. Einleitung.
  4. Vgl. o. § 10 (S. 7 Anm. 2).