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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

heimführen.[1] 25 Jede von diesen besitzt eine andere Natur und Gestalt. Z. B. ist die eine die gesündeste, gleichmäßigste und friedseligste Bewegung, die nach ihren Eigenschaften Leah heißt.[2] Die andere mit Namen Rachel gleicht einem Schleifstein, an dem sich der Kampf und Übung liebende Geist wetzt und schärft. Ihr Name bedeutet „Blick der Entheiligung“[3], nicht weil ihr Blick unheilig ist, sondern im Gegenteil, weil sie der Meinung ist, daß die sichtbaren und sinnlichen Dinge im Gegensatz zu der reinen Natur der unsichtbaren und intellegiblen Welt nicht geweiht, sondern unheilig sind. 26 Denn da unsere Seele aus zwei Teilen, dem vernünftigen und vernunftlosen[4] besteht, so besitzt jeder der beiden Teile eine Tugend, und zwar der vernünftige Leah, der vernunftlose Rachel. 27 Denn die letztere (Rachel) übt uns darin, mit unseren Sinneswerkzeugen und dem ganzen vernunftlosen Seelenteil alles, was Nichtachtung verdient: Ruhm, Reichtum und Lust,[5] zu verachten. Diese werden zwar von der großen Menschenherde als bewundernswürdige und erstrebenswerte Güter beurteilt, aber deren Ohren sind bestochen, wie auch der übrige Gerichtshof der Sinneswerkzeuge bestochen ist. 28 Die erstere (Leah) dagegen lehrt, wie man den unebenen und steilen und für tugendliebende Seelen ungangbaren Pfad vermeidet und glatt, ohne Unfall und Straucheln vor Hindernissen die Heerstraße beschreite.[6] 29 Notwendigerweise ist nun Dienerin der ersteren die Fähigkeit sich vermittels der Sprachwerkzeuge auszudrücken und die scharfsinnige

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/011&oldid=- (Version vom 28.11.2016)
  1. Mit diesen Worten leitet Philo zur allegorischen Erklärung des biblischen Berichtes über Jakob, den Typus des Asketen (s. u. § 35 Anm. 4), seinen beiden Frauen Leah und Rahel und seinen Kebsweibern Bilhah und Selpha über, die in enger Beziehung zu seiner Deutung des Verhältnisses zwischen Abraham und Sarah steht.
  2. Philo leitet hier (s. auch § 31 und Alleg. Erkl. II § 59) den Namen der Leah von einer griechischen Wurzel (λεῖος, sanft, glatt) ab. Er legt dieser Deutung die epikureische Definition der Lust als einer ‘sanften Bewegung’ zugrunde. Vgl. Usener Epicurea S. 279. 280 und die Parallelstellen in der Anm. 2 zur Schrift Über die Nachkommen Kains § 79.
  3. Rachel, abgeleitet von רְאׅי‎ + חוֹל‎. Vgl. Siegfried, Philon von Alexandrien als Ausleger des A. T., Jena 1875, 194, wo die anderen etymologischen Deutungen dieses Namens aufgezählt sind.
  4. S. o. § 21.
  5. Das sind drei stoische Kardinallaster.
  6. Philo paraphrasiert hier die berühmten, in der Schrift Über die Trunkenheit § 150 wörtlich angeführten Verse aus den Erga des Hesiod (287f.).