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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

gestalt– und formlosen Natur, die der Asket[1] liebt. 62 Das bezeugt Moses mit den Worten: „Jakob war ohne Falsch[2] und bewohnte ein Haus“ (1 Mos. 25, 27), woraus folgt, daß sein Gegner Esau haus- und heimatlos ist, ein Freund alles Gefälschten, Erdichteten und der leeren Lügenmärchen, ja, er selbst nur ein Nomadenzelt und eine Fabel.[3]

[13] 63 Über die Zusammenkunft des nach der Schau strebenden Verstandes mit den edelbürtigen und kebsweibartigen Kräften ist nach bestem Vermögen gehandelt worden. Jetzt soll der Faden der biblischen Rede wieder aufgenommen und das Folgende geprüft werden. Es heißt: „Abraham gehorchte der Stimme Saras“ (1 Mos. 16, 2); denn der Schüler hat den Anweisungen der Tugend zu gehorchen. 64 Aber nicht jeder gehorcht, sondern nur wer von heftiger Liebe zur Wissenschaft beseelt ist. Denn[4] fast jeden Tag füllen sich die Hörsäle und Theater, und die Philosophen entwickeln ihre Darlegungen über die Tugend ohne Unterbrechung; aber was nützen diese Reden? 65 Anstatt aufzumerken, lassen die Hörer ihre Gedanken in andere Richtungen schweifen: die einen denken an Schiffahrt und Handel, die anderen an ihr Einkommen und ihre Landwirtschaft, die dritten an Ehrenämter und Politik, die nächsten an Gewinn aus allen möglichen Arten von Künsten und Berufen, andere an Rache an ihren Feinden, andere wieder an Liebesgenüsse; kurz gesagt: ein jeder denkt an etwas anderes und hat für das, was vor ihm dargelegt wird, keine Ohren: sie sind nur mit dem Körper anwesend, mit ihrem Denken aber fern und gleichen so Bildern oder leblosen Bildsäulen. 66 Wenn aber schon einige zuhören, so sitzen sie nur da und hören zu, aber behalten nach ihrem Fortgang keine Silbe im Kopfe, da sie ja um eines Ohrenschmauses und nicht um der Förderung (ihrer Seele) willen gekommen sind. Daher ist ihre Seele

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/021&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. D. i. Jakob, s. o. § 35 Anm. 3.
  2. Ἄπλαστος (in der LXX Übersetzung von תָּם‎) wird von Philo sowohl als „ohne Falsch“ (im Gegensatz zum πλάσμα der Mythen) wie „ohne Gestalt“ (von πλάττω, „formen“, synonym mit ἄποιος und ἀνείδειος, womit die überirdische Ideenwelt gemeint ist) verstanden.
  3. Esau ist also der Konterpart zum „unverfälschten“ Jakob, der „ein Haus bewohnte“. Vgl. Anm. 2. [Der Sinn der letzten Worte ist: E. ist nicht nur Bewohner eines Zeltes, sondern selbst so schwankend wie ein solches. I. H.]
  4. Wendland interpungiert vor ἐπεί § 64 zu schwach, nach φιλοσοφοῦντες zu stark.