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Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/020

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

Frevler nun bekommt die Schlechtigkeit von seiner edelbürtigen Frau und, den Affekt vom Kebsweib. Denn die Seele, als Ganzes genommen[1], ist gleichsam eine edelbürtige Gattin des Verstandes [528 M.] (eine Seele, die tadelnswert ist, zeugt aber Böses), dagegen ist die Natur des Körpers ein Kebsweib, durch welches der Affekt sichtbar wird; denn der Körper ist das Land der Lüste und Begierden. 60 Sie heißt Thamna, was in der Übersetzung „schwankende Ohnmacht“[2] bedeutet; denn die Seele wird ohnmächtig und kraftlos durch den Affekt, wenn der Körper sie infolge des schweren Sturms, der durch die Maßlosigkeit des Triebes entfesselt wird, in Wanken und Schwanken bringt. 61 Das Haupt aller genannten Teile,[3] die gewissermaßen ein lebendes Wesen bilden,[4] ist Esau, der Vater des Geschlechtes, der bald „Gedicht“, bald „Eiche“ gedeutet wird;[5] und zwar Eiche, insofern er von Natur unbeugsam, unnachgiebig, unbeeinflußbar und hartnäckig ist, da er zu seinem Ratgeber die Unvernunft hat, also in der Tat aus Eichenholz besteht. Als „Gedicht“ wird er gedeutet, insofern als das unvernünftige Leben eine Lügenerfindung und Fabelerzählung[6] ist, voller Tragik und eitler Phrasen und andererseits voller Witzeleien und lächerlichem Spott, ohne gesunden Kern, verlogen, weitab von der Wahrheit und ohne Achtung vor der qualitäts–,

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/020&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. D. h. also nicht nach ihren Teilen (s. o. § 21 Anm. 1) beurteilt.
  2. Θάμνα, von תָּם‎ „aufhören“ und נָע‎ „schwankend“ abgeleitet.
  3. D. h. die Familie des Esau.
  4. Vgl. oben § 54 die symbolische Auslegung der Familie Esaus als πάθη τῆς ψυχῆς und daselbst die Ankündigung einer anatomischen Betrachtungsweise der Seele. [Ich würde übersetzen: „das Haupt dieser Teile – wie (wir vom) Haupt eines Lebewesens (reden) – ist ihr Stammvater Esau“. Die Stelle steht in der Genealogie Esaus. I. H.]
  5. עֵשָׂו‎ (von עָשָׂה‎ „machen“ oder עֵץ‎ „Baum“ abgeleitet, s. Über die Geburt Abels usw. § 17 Anm. 2 und: Über die Flucht § 39f.) ist Symbol der Unvernunft. [Die Ausführung der ersteren Etymologie verwertet aber den Doppelsinn von ποιεῖν, das, abweichend von עשׂה‎, in Nomina wie ποίημα, ποιητής „dichten“ bedeuten kann; dabei hebt er einseitig die (nach griechischer Theorie allerdings unerläßlichen) mythischen, also unwahren Bestandteile der Dichtung heraus und verwertet den abgeschliifenen Gebrauch von τραγῳδία = Bombast; die darauf folgenden Worte spielen auf die Komödie an. I. H.]
  6. Über Philos Polemik gegen die heidnischen Mythen vgl. die in der Anm. 5 zu: Über die Nachkommen Kains § 2 gesammelten Parallelstellen und ebenda § 165 Anm. 3, wo auch der Vergleich des Lebens mit einer Theaterposse erklärt wird.