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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und auch das Tasten sind göttliche Geschenke, für die man zu danken hat. 97 Aber nicht nur für die baumartige und erdhafte Masse des Körpers oder die vernunftlosen Lebewesen, die Sinneswerkzeuge, werden wir angehalten dem Schöpfer zu danken, sondern auch für die Vernunft, die recht eigentlich der Mensch im Menschen und zwar der bessere im Schlechteren, der unsterbliche im Sterblichen ist. 98 Darum weihte wohl Moses alle Erstgeburten, indem er den Zehnten, ich meine den Stamm Levi, gegen sie austauschen ließ, um ihn zum Hüter und Bewahrer der Gottesfurcht, der Frömmigkeit und der heiligen Dienste einzusetzen, die zu Ehren Gottes dargebracht werden.[1] Denn das Vornehmste und Beste in uns ist der Verstand, und es ist recht und billig, von der Einsicht, dem Scharfsinn, der geistigen Wahrnehmung, dem rechten Denken und den anderen Fähigkeiten des Verstandes Gott, der die Fruchtbarkeit des Denkens bewirkt, Abgaben darzubringen. 99 Davon ging auch der Asket aus,[2] als er betete: „Von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten zehnen“ (1 Mos. 28, 22). Das gleiche gilt für den nach dem Siegessegen aufgeschriebenen Spruch, den Melchisedek, der die selbsterlernte und von selbst begriffene Priesterwürde erworben hatte, sprach:[3] „Er gab ihm den Zehnten von allem“ (1 Mos. 14, 19), und zwar von den Dingen der Wahrnehmung die Fähigkeit der besten Sinneswahrnehmung, von den Dingen der Sprache die schönste Redegabe, von den Dingen der Vernunft die Denkbegabung. 100 Auf zugleich schöne und notwendige Weise fügte er (Moses) in der Form eines Exkurses, nachdem er einen Rest der himmlischen und göttlichen Nahrung zum Andenken in einem goldenen

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/029&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. Nach 4 Mos. 3, 11ff. (in den Ausg. nicht angeführt) sollen an Stelle der Erstgeborenen die Leviten treten. Daraus schließt Philo, daß mit dem Erstgeborenen das Religiöse gemeint ist. Das Recht, dies Religiöse (und insofern auch sein Symbol, die Leviten) als Zehnt zu bezeichnen, nimmt sich Philo freilich nicht aus dieser Stelle (die Zahl der Leviten beträgt nur etwa ein Dreißigstel der Volkszahl), sondern aus den unmittelbar folgenden Belegen; es ist auch kaum Zufall, daß die Leviten an der Parallelstelle Über die Geburt Abels 119 ἱκέται heißen, ebenso wie hier § 105, wo der Ausdruck auf ihre innere Zugehörigkeit zu Gott als dem „zehnten“ im Gegensatz zu den neun Teilen der Welt, bezogen wird. I. H.
  2. Gemeint ist Jakob, s. o. § 35 Anm. 4.
  3. Melchisedek, der Priester von Salem (1 Mos. 14, 18), bei Philo Symbol des priesterlichen Logos (vgl. Alleg. Erkl. III § 82). Über die Attribute des λόγος αὐτοδίδακτος vgl. meine: Sobria ebrietas S. 55, 2.