Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy | |
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göttlichen Orakel[1] als eine feindliche Zahl, die Einzahl dagegen, die man hinzufügt, um die Zehnzahl voll zu machen, erkennen sie als eine freundliche an. 92 Ein Beispiel dafür:[2] Als der innere Aufstand losbrach und die vier Affekte gegen die fünf Sinne kämpften und der gesamten Seele,[3] wie einer Stadt, völlige Zerstörung und Vernichtung drohte, da zog der weise Abraham zu Felde, erschien als Zehnter und beendigte die Herrschaft der neun Könige (vgl. 1 Mos. Kap. 14). 93 Er schaffte statt Sturm Meeresstille, Gesundheit statt Krankheit und – um die Wahrheit zu sagen – Leben statt Tod. Und da ihn der siegbringende Gott zum Trophäenträger ernannt hatte, weihte ihm Abraham auch als Dankopfer für den Sieg den Zehnten (1 Mos. 14, 20). 94 Von jedem zahmen und friedlichen Tier, welches „unter den Stab“,[4] d. h. unter die Hand der Erziehung kommt, wird das zehnte ausgesondert, das durch gesetzlichen Befehl für „heilig“ erklärt wird (3 Mos. 27, 30. 32), damit wir an vielen Beispielen die enge Beziehung zwischen Zehnzahl und Gott sowie der Neunzahl und unserem sterblichen Geschlecht lernen.
[18] 95 Aber nicht nur von den Tieren, [533 M.] so lautet der Befehl, soll der Zehnte geweiht werden, sondern auch von dem, was auf der Erde wächst. Denn es heißt: „Jeder Zehnte der Erde, vom Samen und der Frucht des Baumes, ist heilig dem Herrn, und von jedem zehnten Rind und Schaf und von allem, was in dieser Zahl unter dem Hirtenstab hindurchgeht, soll das zehnte heilig dem Herrn sein“ (3 Mos. 27, 30. 32). 96 Siehst du nun, daß man nach seiner (Moses) Meinung auch von unserem Körper, dessen Masse wahrhaft erdhaft und baumartig ist, Abgaben weihen muß? Denn Leben und Lebensdauer, Wachstum und Gesundheit wird dem Körper durch göttliche Gnade verliehen. Siehst du, daß auch von den vernunftlosen Lebewesen[5] in uns, d. h. den Sinnen, wieder eine Abgabe gefordert wird? Denn das
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/028&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
- ↑ Gemeint sind die biblischen Schriften, vgl. das Folgende.
- ↑ Zur allegorischen Erklärung von 1 Mos. Kap. 14, die diesem Paragraphen zugrunde liegt, vgl. Über Abraham § 236ff.
- ↑ S. o. § 59 Anm. 1.
- ↑ Der Hirtenstab wird bei Philo zum Prügelstock des Pädagogen. S. All. Erkl. II § 89ff. Über die Nachkommenschaft Kains § 95ff.
- ↑ Das bezieht sich auf die im angeführten Bibelvers genannten Tiere, ebenso wie die „erdhafte Masse des Körpers“ auf die „Erde“ der Bibelstelle. Über die Deutung der „Tiere“ als der Sinnesorgane vgl. meine: Neuen Philontexte in der Überlieferung des Ambrosius (Sitz. d. Preuß. Akad. 1932. IV) Frg. 21 S. 44.