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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

Verkünders der sehr richtigen Lehre, daß die Quelle der Sünden der Zorn,[1] die der rechten Taten aber der Verstand ist. 73 Da aber Gott seiner in allem vollkommenen Güte gedenkt, selbst wenn die gesamte Menschenmenge aus eigener Schuld um der Überfülle ihrer Sünden willen zu Falle käme, streckt er seine rechte und erlösende Hand aus, hilft auf, [284 M.] richtet empor und läßt es nicht zu, daß das ganze Geschlecht vernichtet und vertilgt wird. [16] 74 Deshalb heißt es jetzt, daß Noah Gnade finde bei ihm, während die andern, die sich als undankbar herausstellten, Strafe erleiden sollen, damit er das erlösende Erbarmen vereinige mit dem Gericht über die Sünder. Deshalb sagt auch der Psalmist irgendwo: „Von Gnade und Gericht will ich dir singen“ (Psalm 101, 1). 75 Denn wenn Gott über das sterbliche Geschlecht richten wollte ohne Erbarmen, würde er das verdammende Urteil fällen, da ja kein einziger Mensch das Leben von der Geburt bis zum Tode ohne Fehltritt aus eigener Kraft durch-läuft, sondern (jeder) bald freiwillige, bald unfreiwillige Fehltritte begeht. 76 Damit nun die Gattung erhalten bleibe, wenn auch viele Einzelwesen zugrunde gingen, läßt er das Erbarmen miteinfließen, von dem er auch zum Wohle der Unwürdigen Gebrauch macht, und erbarmt sich nicht nur nach dem Richten, sondern richtet auch aus Erbarmen. Denn älter als die Strafe ist bei ihm das Erbarmen, da er ja den, der Bestrafung verdient, nicht nach der Strafe, sondern schon vor der Strafe kennt. [17] 77 Deshalb heißt es an anderer Stelle: „Ein Becher ist in der Hand des Herrn voll einer Mischung ungemischten Weines“ (Psalm 75, 9). Das Gemischte ist aber doch nicht ungemischt.[2] Vielmehr hat das einen ganz der Sache entsprechenden und mit dem oben Gesagten übereinstimmenden Sinn; denn Gott verwendet die Kräfte in bezug auf sich selbst ungemischt, in bezug auf die Schöpfung aber gemischt. Die ungemischten zu erfassen, ist nämlich einem sterblichen Wesen unmöglich. 78 Oder meinst du, du könntest zwar den reinen Glanz der Sonne nicht anschauen – denn es wird eher das Augenlicht, durch das Geflimmer der Strahlen geblendet, erlöschen, als daß es hinblicken und eine Wahrnehmung machen könnte; und dabei ist doch auch die Sonne nur eins


  1. θυμός, das Philo nach § 71 im allgemeinen Sinne von Affekt überhaupt verstanden wissen will.
  2. Die Schwierigkeit entsteht erst durch die LXX, die ἄκρατος allgemein = Wein versteht.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/18&oldid=- (Version vom 6.2.2022)