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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

einem Menschen zu helfen, widersetzt und die Wohltat verweigert, dann ist er einfach ungehorsam, wer jenem aber außer der Verweigerung der Wohltat auch noch allen möglichen Schaden zufügt, erhebt sich zum Streite und begeht eine heillose Sünde. Und sicherlich ist derjenige, welcher den Gottesdienst und alle Pflichten der Frömmigkeit verabsäumt, gegen die Gebote ungehorsam, welche das Gesetz gewöhnlich darüber gibt; widerspenstig jedoch ist, wer sich zum Gegenteil, zur Unfrömmigkeit, hinneigt und die Gottlosigkeit einführt.[1] [6] 19 Ein solcher[2] war, der da sprach: „Wer ist es denn, auf den ich hören soll?“ und wiederum: „Ich kenne den Herrn nicht“ (2 Mos. 5, 2). Durch den ersten Ausspruch stellt er die Behauptung auf, das Göttliche existiere nicht, durch den folgenden, daß man es, selbst wenn es existiert, doch nicht kennt,[3] was aus dem Fehlen der Vorsehung erschlossen wird; denn gäbe es eine Vorsehung (des Göttlichen), würde es auch erkannt werden. 20 Beiträge und Liebesgaben beisteuern zu dem Zwecke, um Anteil zu haben an dem besten Besitze, der Einsicht, ist löblich und nützlich, wegen des Anteils aber am allerschlimmsten Übel, dem Unverstande, ist ebenso schädlich wie tadelnswert.[4] 21 Die Beiträge nun zum Besten sind: Sehnsucht nach der Tugend, Streben nach dem Schönen, ununterbrochene Studien, andauernde Übungen, unablässige und unermüdliche Entsagungen; die zum Gegenteile: Nachlässigkeit, Leichtsinn, Schwelgerei, Weichlichkeit, vollständige Unregelmäßigkeit der Lebensweise. 22 Man kann freilich sehen, wie Leute sich zum Weinsaufen rüsten, sich Tag für Tag darin üben und zu Ehren der Unersättlichkeit ihres Bauches Wettkämpfe aufführen und hiezu Beiträge beisteuern, als wäre dies etwas Nützliches,


  1. Philo liebt es, Vorzüge, öfter aber Fehler und Sünden gegeneinander abzuwägen und graduelle Unterschiede zwischen ihnen festzustellen; zwei der häufigsten Anschauungen sind diese: „Der Gedanke ist noch nicht so schlimm wie die Tat“ (Alleg. Erkl. II 61f.). „Der unfreiwillige Fehler ist nicht so schwer wie der freiwillige“; s. § 125 Über die Trunkenh. u. Anm. Ein ähnliches Schema ist das oben angewandte: „Der passive Widerstand ist nicht so schlimm wie der aktive“.
  2. Nämlich Pharao, der De somn. II § 183 ἀντίθεος νοῦς genannt wird. – Derselbe Bibelvers wird in unserer Schrift nochmals § 77 verwendet.
  3. Diese Worte klingen an den bekannten Satz des Sophisten Gorgias von der Gottheit an: πρῶτον ὅτι οὐδὲν ἔστιν, δεύτερον ὅτι εἰ καὶ ἔστιν, ἀκατάληπτον (Diels VS. II³ S. 243, 5; vgl. S. 244, 30 ὅτι δὲ κἄν ᾖ τι, τοῦτο ἄγνωστόν τε καὶ ἀνεπινόητόν ἐστιν).
  4. Ἐπαινετὸν καὶ συμφέρον sind bei den Stoikern Prädikate des ἀγαθὸν (καλόν) und der ἀρετή, wie ἀλυσιτελὲς καὶ ψεκτόν vom Gegenteile.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/014&oldid=- (Version vom 29.10.2017)