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Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/013

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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Vater und seine Mutter ergreifen und ihn hinausführen zu den Ältesten seiner Stadt und zu dem Tore seines Ortes und sollen sprechen zu den Männern ihrer Stadt: ‚Dieser unser Sohn ist ungehorsam und widerspenstig, hört nicht auf unsere Stimme, ein Schmausliebhaber und Trunkenbold‘. Und da sollen ihn steinigen die Männer der Stadt und du sollst hinwegschaffen den Bösen aus euerer Mitte.[1]“ (5 Mos. 21, 18–21). 15 Vier Beschuldigungen zählt also die Anklage auf: Ungehorsam, Widerspenstigkeit, Beisteuer zum Schmaus und Trunkenheit. Die schwerste ist die letzte; denn mit dem Ungehorsam beginnt es und jede folgende Beschuldigung ist eine Steigerung ; denn wenn einmal die Seele anfängt, sich dem Zügel zu entziehen[2] und durch Streit und Zanksucht weiterschreitet, dann kommt sie schließlich zur äußersten Grenze, zur Trunkenheit, der Ursache von Geistesstörung[3] und Verrücktheit. Man muß nun sehen, was jede dieser Anklagen bedeutet, und bei der ersten beginnen.

[5] 16 Ganz offenbar ist es also allgemein anerkannt, daß Nachgiebigkeit und Gehorsam gegen die Tugend schön und nützlich ist und deshalb umgekehrt der Ungehorsam häßlich und über alle Maßen schädlich; und nun gar erst die Widerspenstigkeit! die faßt das ganze Übermaß des Schrecklichen in sich. Der Ungehorsame nämlich ist weniger schlecht als der Zanksüchtige[4], indem jener bloß auf das ihm Aufgetragene keine Rücksicht nimmt, dieser aber sogar bemüht ist, das Gegenteil zu unternehmen. 17 Wohlan, wir wollen einmal sehen, wie das ist. Befiehlt z. B. das Gesetz, die [360 M.] Eltern zu ehren, so ist der, welcher sie nicht ehrt, nur ungehorsam, der sie beschimpft, hingegen zanksüchtig. Ein anderer Fall: Ist es gerecht, das Vaterland zu retten, dann werden wir einen, der ebendabei zögert, ungehorsam nennen, den aber, der überdies noch entschlossen ist, Verrat zu üben, einen händelsüchtigen Aufrührer. 18 Und wenn sich jemand der Aufforderung,


  1. Die LXX hat abweichend von Philo V. 21: οἱ ἄνδρες τῆς πόλεως αὐτοῦ ἐν λίθοις, καὶ ἀποθανεῖται. Die letzten Worte dieses Verses: καὶ οἱ ἐπίλοιποι ἀκούσαντες φοβηθήσονται. zitiert Philo nicht mehr. Darüber vgl. Adler, Bemerkungen zu Philos Schrift Περὶ μέθης (Wiener Studien XLIII, S. 94, 1). – Die biblische Mahnung, „das Böse“ anzurotten, bezieht die LXX auf „den Bösen“, s. § 28f.
  2. Das von Philo so oft und gern gebrauchte Bild geht auf Plato zurück (Phädrus 246 A/B u. a.).
  3. Hier ist ἔκστασις in der ersten der von Philo, Der Erbe des Göttlichen § 249 aufgezählten Bedeutungen gebraucht; s. die Anm. zu Alleg. Erkl. II § 19. – Über die Abhängigkeit von Plato vgl. Leisegang, Der heilige Geist S. 166.
  4. Philo spielt hier mit der Etymologie φίλεριςἐρεθίζων.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/013&oldid=- (Version vom 29.10.2017)