Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler | |
|
[3] 11 Als Vorwort gewissermaßen zu unserer Schrift haben wir damit genug gesagt; nun wollen wir die Beweise für jeden einzelnen Punkt hinzufügen und wollen zum Beginn mit der Erklärung des ersten anfangen. Wie gesagt,[1] ist also Zuchtlosigkeit [359 M.] am albernen Schwatzen und an Verfehlungen schuld, wie für Tausende Unvernünftiger der reichliche Weingenuß. 12 Zuchtlosigkeit ist nämlich, soll man die Wahrheit sagen, die unheilvolle Ursache der Verfehlungen der Seele; aus ihr fließen wie aus einer Quelle die Handlungen des Menschenlebens, welche[2] ganz und gar kein trinkbares und für irgendwen heilsames Naß liefern, sondern nur ein salzigbitteres[3], das den Benützern Krankheit und Verderben verursacht. 13 Daher wütet der Gesetzgeber gegen Unerzogene und Zuchtlose so, wie vielleicht gegen niemand anderen. Ein Beweis hiefür: Wer ist es, der nicht sowohl durch besonderen Entschluß als von Natur,[4] Bundesgenosse im Kampfe ist sowohl bei den Menschen als auch bei den anderen Arten der Lebewesen? Auch ein Toller müßte wohl sagen: „Niemand anderer ist es als die Eltern“; denn der Natur gemäß, die nicht erst belehrt werden muß,[5] sorgt sich das Erzeugende um sein Geschöpf und ist auf dessen Heil und dauernde Existenz bedacht. 14 Die natürlichen Mitstreiter nun läßt er (der Gesetzgeber) ernstlich in die Reihe der Feinde übergehen und bestellt zu Anklägern diejenigen, welche eigentlich die Fürsprecher sein müßten, Vater und Mutter, damit jene[6] durch die Mitwirkung derer ihren Untergang finden, von denen allein sie gerettet werden sollten; denn es heißt: „So jemand einen ungehorsamen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht hört auf die Stimme seines Vaters und seiner Mutter, und sie züchtigen ihn und er hört doch nicht auf sie: so sollen ihn sein
- ↑ Oben § 6.
- ↑ Gegen Wendland (Neu entdeckte Fragmente Philos S. 20) lese ich: ἐκδιδοῦσαι; die Begründung s. Wiener Studien XLIV. S. 220.
- ↑ Das Bild vom trinkbaren und salzigbitteren Wasser stammt aus Platos Phädrus 243 D; vgl. 235 C/D. Über die Nachahmung bei Späteren s. Stallbaum zur letzteren Stelle. Philo gebraucht es wie hier auch Über d. Nachkomm. Kains § 155, teilweise § 125 u. ö.
- ↑ Vgl. Ü. d. Einzelges. II 239f.
- ↑ Philon denkt hier wohl im Gegensatz zur Ansicht der Stoiker (StVF III 731) an ähnliche Beispiele von Elternfürsorge aus der Tierwelt, wie er Über d. Dekalog § 116ff. eines von den Störchen erzählt; dort heißt es αὐτοδιδάκτῳ τῇ φύσει, ebenso Über d. Pflanz. Noahs § 110; so wie hier aber ἀδιδάκτῳ τῇ φύσει Über d. Dekalog § 59. (Über die fast poetische Enallage des Adjektivs vgl. Wendland‚ Krit. u. exeg. Bem. zu Philo, Rh. Mus. 53, S. 1).
- ↑ Die Unerzogenen und Zuchtlosen § 13 Anf.
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/012&oldid=- (Version vom 29.10.2017)