Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/025

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Studium, die Philosophie; da sie aber doch nicht für immer ohne Ahnung der allgemeinen Bildung zu bleiben wünschten, entschlossen sie sich spät erst und mit Überwindung, mit ihr in Berührung zu kommen. Wenn sie dann aber von der größeren und ehrwürdigeren Wissenschaft zur Betrachtung der niedrigeren und geringeren Lehrgegenstände herabstiegen, wurden sie über ihnen alt, so daß sie nicht mehr die Kraft aufbrachten, sich zu ihrem Ausgangspunkte wieder aufzuschwingen.[1] 52 Deshalb wohl sagt (Laban): „Halte die Woche bis zu Ende mit ihr“ (1 Mos. 29, 27), das heißt so viel als: [365 M.] Nicht endlos[2] soll dir das Gut der Seele bleiben, sondern Grenze und Ende soll es haben, damit du auch mit dem geringeren Range der Güter zusammenkommest, den körperliche Schönheit, Ruhm, Reichtum und dergleichen einnimmt.[3] 53 Er aber verspricht nicht ihre „Vollendung“, sondern gesteht ihre „Vervollständigung“ zu,[4] d. h. er werde niemals unterlassen, alles zu ihrer Vermehrung und Ausfüllung zu betreiben, sondern werde immer und überall sich ihrer annehmen, auch wenn die Hemmungen und Widerstände tausendfach wären.[5] 54 Besonders klar aber scheint mir (die heilige Schrift) die Tatsache, daß die Frauen die Gewohnheit mehr befolgen als die Männer, durch die Worte der Rahel anzudeuten, die bloß das sinnlich Wahrnehmbare bewundert;[6] denn sie spricht zu ihrem Vater: „Nimm es nicht übel, o Herr; ich kann nicht aufstehen vor dir, weil es mir nach der Weiber Gewohnheit geht“ (1 Mos. 31, 35). 55 Also ist es den Frauen eigentümlich, den Gewohnheiten zu folgen; und tatsächlich ist ja die Gewohnheit das Zeichen einer schwächeren und weibischeren Seele; denn das Merkmal der Männer


  1. Der Gedanke des § 51 wird erläutert De congr. erud. gr. § 77f.
  2. Philo betont hier einen temporalen Nebensinn.
  3. Lea, ἡ πρεσβυτέρα, wird in Erinnerung an das § 46 Gesagte symbolisch mit dem Gute der Seele; Rahel, ἡ νεωτέρα, dagegen mit den körperlichen und äußeren Gütern gleichgesetzt (1 Mos. 29, 16. 17). Bei Philo stehen Stellen, an welchen die äußeren Güter getreu der stoisch-kynischen Auffassung verworfen werden, andere entgegen, welchen die aristotelische Einteilung der Güter in drei Klassen zugrunde zu liegen scheint. Die Stellen sind gesammelt von Wendland, Philos Schrift ü. d. Vorsehung 53, 1.
  4. Philo verwertet einen Wechsel des Ausdrucks, der sich Vers 27f. in der LXX, nicht im MT, findet.
  5. In der biblischen Erzählung macht Laban dem Jakob Schwierigkeiten; Philo deutet Jakobs Charakter als eines ἀσκητής in ethischem Sinne.
  6. Rachel wird auch Alleg. Erkl. II 46 und Ü. d. Nachkomm. Kains 135 mit der αἴσθησις identifiziert.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/025&oldid=- (Version vom 8.6.2018)