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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

mit der Lehre von der sittlichen Bildung[1] berufen; denn die nach Weisheit Strebenden[2] müssen zuerst mit der geringeren Bildung[3] zusammenkommen, um dann von der vollkommeneren sicheren Vorteil und Genuß haben zu können. 49 Darum gelangen auch bis jetzt die Liebhaber der sittlichen Vollkommenheit nicht früher zur Türe[4] der ehrwürdigeren (Bildung), der Philosophie,[5] bevor sie mit den geringeren Arten vertraut geworden sind, mit der Grammatik, der Geometrie und allen Fächern der höheren allgemeinen Bildung;[6] diese nämlich sind die freundlichen Vermittlerinnen der Weisheit für diejenigen, die allezeit ehrlich und in Reinheit um sie werben.[7] 50 Jener aber klügelt das Gegenteil aus, weil er will, daß wir die ältere zuerst heimführen, nicht damit wir sie fest besitzen, sondern damit wir uns vom Zauber der jüngeren berücken und nachher unsere Sehnsucht nach jener erschlaffen lassen. [13] 51 Und fast so erging es schon vielen, die nicht den rechten Weg zur Bildung eingeschlagen haben. Denn sozusagen noch in den Windeln gingen sie schon an das vollkommenste


  1. Die überlieferte Lesart ἠθοποιὸν λόγον suchte ich gegen die von Wendland vorgeschlagene Änderung zu verteidigen Wien. Stud. XLIV S. 221f.
  2. Die ἀσκηταὶ sind hier wie die προκόπτοντες der Stoiker gedacht.
  3. Die νεωτέρα ist die ἐγκύκλιος παιδεία De congr. erud. gr. § 154.
  4. De congr. erud. gr. 10: ὥσπερ γάρ ἐν ... οἰκίαις αὔλειοι πρόκεινται κλισιάδων, ... οὕτως καὶ ἀρετῆς πρόκειται τὰ ἐγκύκλια.
  5. Dem Begriffe der ἐγκύκλιος παιδεία, der „zum geselligen Kreise gehörigen“, „volkstümlichen“ Bildung (Paul Barth, Die Geschichte d. Erziehung², S. 140, 2), begegnen wir seit dem Jahre 300 v. Chr. Für die hellenistische Welt, die ihn ungefähr in dem Umfange schon kannte, wie wir ihn bei Philo finden, bildet deren Verhältnis zur Philosophie ein Problem, um dessen Lösung sich von den Philosophenschulen am meisten die Stoa bemühte. Erst Chrysipp scheint, im Widerspruch zum Gründer der Schule, den Wert der allgemeinen Bildung als Vorstufe der rechten ἐπιστήμη ähnlich gewürdigt zu haben, wie wir es hier lesen (Arnim, StVF I 259. III 294. 738). Für Philo vgl. Zeller a. a. O. III 2³ S. 408. Bréhier² S. 287ff.‚ 292ff.
  6. Sie werden aufgezählt De congr. erud. gr. § 11, besprochen De somn. I 205.
  7. In diesem Zusammenhange klingt der Ausdruck μνᾶσθαι werben, freien an einen Ausspruch des Stoikers Aristo Chius an, welcher diejenigen, die sich um die volkstümliche Bildung bemühen, dabei aber um die Philosophie nicht kümmern, mit den Freiern der Penelope verglich, welche die Mägde nahmen, da sie die Herrin nicht bekamen (StVF I 350). Philo selbst bezeichnet mit Rücksicht auf den Gegensatz Sarah–Hagar die mit dieser gleichgesetzte volkstümliche Bildung als Magd z. B. De congr. erud. gr. § 9f. 23. 72. 154. Ü. d. Nachkommen Kains § 130 und die Anm. zu § 137 (IV 39, 2).
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/024&oldid=- (Version vom 8.6.2018)