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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

und Sichentfernen von den Füßen, nicht den Atem von der Lunge, nicht die Verdauung von der Leber, auch von keinem der anderen inneren Organe die einem jeden eigentümliche Tätigkeit, nicht von den Bäumen und Samengewächsen die jährlichen Früchte, sondern alles von dem allein Weisen, der seine wohltätigen Kräfte überall hin dehnt und durch sie nützt. [28] 107 Wer nun den Seienden sieht,[1] [374 M.] kennt den wahren Urheber,[2] stellt die Dinge, die er verursacht, bei der Schätzung in die zweite Reihe hinter ihn und gesteht ihnen so ohne Schmeichelei ihren wahren Wert zu. Und das Zugeständnis ist ganz gerecht: „Von euch werde ich nichts bekommen, sondern nur von Gott, dessen Besitz alles ist, durch euch vielleicht; denn ihr seid die Werkzeuge, die dazu da sind, seinen unsterblichen Gnadenbezeigungen zu Diensten zu stehen“.[3] 108 Der Unüberlegte jedoch, in der Denkkraft seiner Seele geblendet, mit der allein das Seiende zu erfassen ist, hat dieses nie und nimmer erblickt, wohl aber mit seinen Sinnesorganen die in der Welt befindlichen Körper, und diese hält er darum für die Ursachen alles Werdenden.[4] 109 Das ist auch der Grund, warum er Götterbilder zu gestalten begann und die ganze bewohnte Erde mit Statuen, Holzbildern und tausend anderen, in den mannigfaltigsten Stoffen verfertigten Nachbildungen angefüllt


  1. So wie Abraham, der auch Alleg. Erkl. III 24 τὸ ὄν ὁρῶν genannt wird; über diese Textgestaltung vgl. meine Bemerkung: „Zu Philo Alexandrinus“ im Ἐπιτύμβιον Heinr. Swoboda dargebracht, S. 16f.
  2. „Le contenu positif de la foi, c’est la croyance que Dieu est la cause unique de toutes choses et que tout lui appartient.“ Bréhier², 221.
  3. Während Philo sonst, Ü. d. Cherub. 125 und De provid. I 23, vier Ursachen kennt: ὑφ` οὗ, ἐξ οὗ, δι` οὗ und δι` ὅ, in den Quaest. in Genes. I 58 drei von ihnen aufzählt, kommt es ihm hier nicht auf den Unterschied zwischen Gott als Schöpfer und dem λόγος als Werkzeug an, sondern auf die Kennzeichnung des Gegensatzes zwischen Gott und Sinnenwelt. Ist schon ein Verwischen jenes Unterschiedes ein Abirren von der Wahrheit und eine Gotteslästerung, so wird diese um so größer, wenn man sogar, wie hier, Gott mit den Werkzeugen der sinnlichen Welt verwechselt, die, streng genommen, gar nicht Gottes Werkzeuge, sondern die des λόγος sind. Deshalb vermeidet es Philo wohl, ὑφ` ὑμῶν zu sagen und wählt das allgemeinere παρ` ὑμῶν, das auch dem ἀπὸ πάντων des Textwortes näher kommt. – Daß wegen Seneca Epist. 65, 8ff. Posidonius die Quelle der philonischen Lehre von den vier ἀρχαί sein solle, wie L. Cohn III 204, 3 (Ü. d. Cherub. 127) annahm, scheint mir durch die Begründung E. Nordens, Agnostos Theos S. 348, nicht bewiesen. Vgl. dagegen I. Heinemann, Poseidonios’ metaphys. Schriften I 202.
  4. Ein Beispiel hierfür Ü. d. Einzelges. I 16, Ü. d. Dekalog 59.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/044&oldid=- (Version vom 21.5.2018)