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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

geziemend ehren, dies ganze Weltall sei ein Geschenk von ihm;[1] 118 denn ganz der Natur entsprechend heißt es: „jedermann brachte das, was er fand, als Geschenk dar“. Jeder von uns findet aber sofort nach der Geburt das große Geschenk Gottes vor, die vollkommene Welt; denn ihr selbst und ihren besten Teilen hat er sie gnädig geschenkt.[2] [31] 119 Es gibt aber auch spezielle Gaben, die Gott [376 M.] geziemend gibt und die Menschen empfangen. Das sind wohl die Tugenden und die ihnen gemäßen Betätigungen, deren wegen der außerordentlichen Schnelligkeit des Schenkenden[[3]] fast zeitlose Entdeckung jeder an den Beschenkten anstaunt, selbst war sonst nichts Großes erfaßt. 120 Darum fragt (Isaak) auch: „Was ist es, das du so schnell fandest, Sohn?“ und wundert sich über die Plötzlichkeit der edlen Gesinnung; treffend antwortet der mit der Wohltat Beschenkte: „das, was Gott der Herr mir dargeboten hat“ (1 Mos. 27, 20); denn langsam sind Darbietungen[4] und Anleitungen durch Menschen, blitzschnell aber durch Gott, da sie selbst die schnellste Bewegung der Zeit überholen. 121 Die eben geschilderten Menschen also sind in Sieg und Macht die Vorsänger und Führer des Chores, der das Sieges- und Danklied singt, andere wieder, in Flucht und Schwäche (Führer des Chores), der ein Klagelied[5] ob der Niederlagen aufgeregt stöhnt; die letzteren sollte man weniger schmähen als bemitleiden wie Menschen mit einem von Natur aus todgeweihten Körper, für die jede beliebige Krankheitsursache ein großes Hindernis ihrer Rettung bildet. 122 Einige aber kommen zu Falle, nicht weil die Spannung ihrer


  1. Philo deutet προσάγω wie ἀνάγω Über die Unveränd. § 4 = zurückführen auf.
  2. Klarer ist derselbe Gedanke ausgesprochen „Ü. d. Unveränderl. Gottes“ 107. Unter den besten Teilen der Welt sind die Menschen zu verstehen. Über die Gestaltung des griech. Textes vgl. meine „Bemerkungen zu Philos Schrift Περὶ μέθης“ Wiener Studien XLV S. 118.
  3. Nach stoischer Lehre sind alle Nicht-Weisen gleich weit von der Tugend entfernt; die Verwandlung des Weisheitsbeflissenen in den Weisen geschieht nach Chrysipp (StVF III 539 Arn.) in einem Nu plötzlich. Philo freilich führt dies auf die Schnelligkeit des Schenkenden, d. i. die Zeitlosigkeit Gottes, zurück; vielleicht im Anschluß an den stoischen Gedanken, den Seneca Ep. 121, 20 so umschreibt: et tardum est et varium, quod usus docet; quicquid natura tradit, et aequale omnibus est et statim.
  4. Das griech. Wort παράδοσις ist doppelsinnig; es bedeutet sowohl die Übergabe, Überlieferung, Vermittlung als auch die Lehre, die überliefert wird. Philo faßt es hier synonym mit ὑφήγησις Anweisung, Anleitung, Lehre, Unterricht auf.
  5. Hinweis auf § 95.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/048&oldid=- (Version vom 21.5.2018)