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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Nüchternheit und außergewöhnliche Geistesgegenwart. [33] 130 Mit Recht bewundern kann man wohl auch den Wortlaut jener Vorschrift. Wie sollte es denn nicht von der Ehrfurcht geboten sein, nüchtern und bei voller Selbstbeherrschung, und umgekehrt, nicht lächerlich sein, vom Wein an beidem, an Körper und Seele, entkräftet, an Gebete und Opfer zu gehen? 131 Oder sollen etwa Sklaven, Kinder und Untertanen, wenn sie zu ihren Herren, Eltern und Beherrschern gehen wollen, darauf bedacht sein, nüchtern zu bleiben, um weder in Wort und Tat einen Fehler zu machen, noch ob des Anscheines, als mangle es ihnen an Respekt für jene, Strafe oder – im glimpflichsten Falle – Spott zu verdienen ; und derjenige, der den Führer und Vater des Alls zu verehren wünscht, sollte nicht über Speise, Trank, Schlaf und alle Notdurft der Natur Herr sein können, sondern sollte zur Schwelgerei hinneigen, der Lebensweise der Schlemmer nachstreben und die Augen schwer vom Weine, den Kopf auf die Seite geworfen, den Nacken schief gewendet, vor Maßlosigkeit speiend, im ganzen Körper vor Üppigkeit zerfließend,[1] sollte er das Weihwasser für die Hände, oder Altar oder Opfer anrühren dürfen? Nein, nicht einmal aus der Ferne darf ein solcher die heilige Flamme ansehen. 132 Nimmt man jedoch an, mit Zelt und Opferaltar seien nicht die sichtbaren Dinge gemeint, die aus dem seelenlosen und vergänglichen Stoffe gebaut sind, sondern die unsichtbaren Gegenstände geistiger Betrachtung, [378 M.] deren sinnlich wahrnehmbare Abbilder jene sind, dann wird man die Anleitung noch mehr bewundern müssen. 133 Da nämlich der Schöpfer von allem ein Vorbild und ein Abbild geschaffen hat, so hat er auch von der Tugend ein Urbildsiegel gemacht und dann von diesem eine sehr ähnliche Prägung (im Abbild) eingedrückt. Das Urbildsiegel nun ist eine unkörperliche Idee, das nachgeprägte Abbild ist bereits ein Körper, seiner Natur nach zwar sinnlich wahrnehmbar, jedoch nicht zur Wahrnehmung gelangend; so wie man wohl auch sagen kann, das Holzstück, das an der tiefsten Stelle im atlantischen Ozean liegt, habe zwar von Natur die Bestimmung, verbrannt zu werden, es werde aber wohl niemals vom Feuer verzehrt werden, weil sich das Meer darüber ergießt. [34] 134 Demgemäß wollen wir uns Zelt und Altar als Symbole denken, jenes (als Symbol) der unkörperlichen Idee der Tugend, diesen (als Symbol) ihres sinnlich


  1. Eine andere, aber ebenso anschauliche Schilderung des Trunkenen gibt Philo in der Schrift Vom beschaulichen Leben § 44, 45.
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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/051&oldid=- (Version vom 21.5.2018)