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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

und Gottes Verehrung freut; der Name bedeutet nämlich: Gott Zugeordneter;[1] denn er glaubt ja, alle Handlungen, die in eitlem Wahne entstehen, seien eine schlimme Unordnung. 145 Dieser wird als Sohn der Anna geboren, deren Name übersetzt „Gnadengeschenk“ heißt;[2] denn ohne göttliche Gnade ist es unmöglich, die Reihen des Sterblichen zu verlassen oder im Reiche des Unvergänglichen immer zu verharren. 146 Jede Seele, die von dem Gnadengeschenke erfüllt wird, ist sofort frohgemut und lacht und hüpft vor Freude auf.[3] Sie ist ja in Verzückung, und deshalb wird vielen Uneingeweihten wohl der Gedanke kommen, sie sei trunken, gerate außer sich[4] und sei geistesgestört. Deshalb spricht zu ihr auch ein Knäblein,[5] nicht ein einziges, sondern jedes, das noch das Alter besitzt zu Umsturz und Verspottung des Edlen: „Wie lange wirst du trunken sein? Tu ab [380 M.] deinen Rausch von dir!“ (1 Kön. 1, 14.)[6] 147 Den von Gott Begeisterten nämlich pflegt nicht nur die Seele in Erregung und gleichsam in Raserei zu geraten, sondern auch der Körper sich zu röten und zu glühen, da die innerliche Freude ihn von der Starrheit löst und erwärmt und das Ungestüm des Gefühls nach außen weitergibt; davon lassen sich viele Unverständige täuschen, und mutmaßen dann, die Nüchternen seien trunken. 148 Aber trotzdem sind jene in einer Art dennoch trunken, die Nüchternen, da sie alle Güter auf einmal wie reinen Wein in sich gezogen haben und ihnen die vollendete Tugend freundlich zugetrunken hat; hingegen haben die anderen, die im Weinrausche Trunkenen, die Einsicht noch nicht gekostet und haben deshalb dauernd ein unaufhörliches Fasten und einen unaufhörlichen Hunger nach ihr. 149 Gebührend erwidert sie (Anna) daher dem Neuerungssüchtigen, der sich aus ihrem ehrwürdigen und strengen Leben ein Gespötte macht: Wie seltsam bist du! „Ich, die Rauhe, bin ein sanftes Weib,[7] und Wein und Berauschendes


  1. Über die allegorische Deutung des Namens vgl. Ü. d. Unveränderl. Gottes § 5 (= IV 73 und Anm. 3).
  2. Über Anna und die Allegorie ihres Namens s. Ü. d. Unveränderl. Gottes § 5, Ü. d. Wand. Abrah. 196, Ü. d. Träume I 254f.
  3. Wohl nur Umschreibung des Rausches, schwerlich nach 1 Sam. 2, 1.
  4. Der Gedanke ist eine Reminiszenz an Plato (Phaedrus 249 C/D). Statt Wendlands Konjektur παροινεῖν ist die Lesart aller Handschriften παρακινεῖν wieder in den Text zu setzen. (Adler, Wiener Studien XLV. 119f.)
  5. Παιδάριον heißt Eli in einem Glossem der LXX 1 Sam. 1, 14.
  6. Das ist nach der Anm. 5 zu § 143 im MT 1 Sam. 1, 14.
  7. Statt אשה קשת־רוח אנכי‎ hat LXX γυνὴ ἡ σκληρὰ ἡμέρα ἐγώ εἰμι.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/055&oldid=- (Version vom 21.5.2018)